10 Sep Die schwierige Frage nach dem „Wie“ – Über die Darstellung von Depressionen und Suizidalität in Serien
*** TRIGGERWARNUNG – Wir sprechen in diesem Artikel über die Themen Depressionen und Suizid. Falls dich das Thema triggert, lies bitte nicht weiter oder sprich nach dem Lesen mit einem vertrauten Menschen darüber. Hilfestellen, an die du dich ebenfalls wenden kannst, haben wir dir hier zusammengestellt. ***
Heute ist Welttag der Suizidprävention.
In Deutschland sterben ca. 10.000 Menschen im Jahr an Suizid, das sind so viele Tode wie durch Verkehrsunfälle, AIDS, illegale Drogen und Gewalttaten zusammen. Die Anzahl der Suizidversuche wird auf mindestens 100.000 geschätzt. Die gute Nachricht ist: Suizidprävention ist möglich. Erschwert wird sie aber, weil Suizidalität nach wie vor Tabuthema ist und die Betroffenen daher große Schwierigkeiten haben, Hilfe zu suchen.
Eine oft unterschätzte Rolle in der Prävention betrifft die Medien. Mehrere Untersuchungen zeigen, dass auf mediale Betrachtung von Suiziden weitere Selbsttötungen folgen können. Das heißt nicht, dass wir über das Thema schweigen sollten, sondern vielmehr, dass wir darauf achten, wie die Thematisierung von Suizid in den Medien passiert. Zum einen betrifft das die journalistische Berichterstattung, zum anderen aber auch fiktionale Narrative und Personen.
Die fiktionale Darstellung von suizidalen Charakteren reicht von durchdachter Realitätsnähe, über grobe Verharmlosung bis hin zur gefährlichen Romantisierung. Letztere sind potentiell sehr schädlich für Betroffene. Damit sind nicht nur Menschen mit suizidalen Gedanken, sondern auch Überlebende von Selbsttötungsversuchen und Angehörige gemeint. Selten gibt es auch hilfreiche Darstellungen, die dazu beitragen, sich gesehen und verstanden zu fühlen.
Also: Repräsentation ist nicht gleich Repräsentation.
Um das zu veranschaulichen, wollen wir jeweils ein – aus unserer Perspektive – negatives und ein positives Beispiel vorstellen und damit einen Einblick in die „Do’s“ und „Dont’s“ gewinnen, wie diese Darstellung gelingt bzw. misslingt.
Die Serie „13 Reasons Why“ (dt.: „Tote Mädchen lügen nicht“)
Worum geht‘s?
- Eine Serie basierend auf dem gleichnamigen Roman v. Jay Asher, erschienen 2017.
- Schüler*innen der Schule Liberty High, die die Auswirkungen des Todes ihrer Mitschülerin spüren.
- Hannah hat Suizid begangen und 13 Kassetten hinterlassen, in denen sie die Gründe, insbesondere die Personen, die ihrer Meinung nach dafür ausschlaggebend waren, benennt.
- Die Serie wurde teilweise gelobt dafür, wie sie mentale Gesundheit thematisieren. Aber es gibt von vielen Seiten auch starke Bedenken bezüglich der problematischen Art und Weise, wie dies an die Rezipient*innen vermittelt wurde.
Darstellung
- Der Ansatz, Tabuthemen anzusprechen, ist erstmal gut!
- ABER: Die Darstellung von Hannah ist so undurchdacht, dass es Suizid romantisiert, verharmlost und als sinnvolle Möglichkeit darstellt.
- Explizite Darstellung ihres Suizids. Sämtliche Organisationen, die sich für Suizidprävention einsetzen, warnen vor der expliziten Wiedergabe der Methode und des Todes, da Menschen mit Suizidgedanken dies nachahmen könnten.
- Suizid als DIE Plotline: Vielleicht auf diese Weise „spannender“ für Zuschauende, aber weit weg von der Realität und extrem vereinfachend/romantisierend.
- Suizid als plausible Entscheidung: Durch das von Hannah eingesprochene Voice-Over ist man ihr sehr nahe und neigt dazu, mit ihr zu empathisieren. Ihrer Begründung für ihren Entschluss („Ich habe Erfahrungen mit Mobbing, Slutshaming, sexueller Belästigung gemacht, und deshalb beende ich mein Leben.“) wird nichts hinzugefügt. Problematisch, da mögliche seelische Erkrankungen bei ihr – wie Depressionen – eben nicht thematisiert werden. In der Realität hingegen leiden die meisten suizidalen Menschen unter diagnostizierbaren (und damit auch behandelbaren) psychischen Krankheiten. Die Serie suggeriert, dass Selbsttötung ein Weg ist, über den Hannah sich bei den anderen „rächen“ kann, sich erklären kann und endlich verstanden wird. Aber das ist Quatsch. Sie ist tot und verneint damit jede Möglichkeit, über das was geschehen ist und zu reden und Dinge zu verändern.
- Durch die Kassetten wird exklusiv den Leuten in ihrem Umfeld die Schuld zugewiesen. Auf jeden Fall sollten die Menschen, die Hannah Schlimmes zugefügt haben, dafür zur Verantwortung gezogen werden. Aber ohne Einschränkungen zu behaupten, dass diese ihren Tod verursacht haben („WE killed Hannah“) suggeriert, dass es auch in echt immer Menschen gibt, die die Verantwortung für einen Suizid tragen. Das stimmt so aber nicht. Für Angehörige, die jemanden auf diese Weise verloren haben, ist diese Message extrem schädlich und verzerrt, dass eigentlich viele weitere Faktoren eine Rolle spielen.
Schlussfolgerung
Google-Suchen zu Suizidmethoden sind nach Veröffentlichung der Serie um 20% gestiegen (Quelle). Es gibt mehrere Suizide, bei denen vermutet wird, dass sie durch die Serie inspiriert wurden (Quelle). Die Forscher*innen der Studie zum Ansteckungseffekt schlussfolgern: „13 Reasons Why, in its present form, has both increased suicide awareness while unintentionally increasing suicidal ideation.“ (Quelle). Im Endeffekt geht die Serie, die von sich behauptet total aufklärend und fortschrittlich zu sein, sehr unbedacht, uninformiert und riskant mit dem Thema um.
Mit der Kritik an 13 Reasons Why will ich keineswegs sagen, dass wir nicht über mentale Probleme reden sollten. Aber wir müssen es besser machen. Wie beispielsweise in der Serie Bojack Horseman, über die wir uns im zweiten Teil des Beitrags beschäftigen.
Links:
- Überlebenswert – Kölner Netzwerk für Suizidprävention
- Nationales Suizid Präventions Programm
- Zum Weiterlesen, wenn es etwas fachlicher sein darf: Studie (englisch) zur gefährlichen medialen Darstellung von Suizid.