Seelisch beeinträchtigte junge Menschen in Serien und Filmen auf Netflix (Fortsetzung)

Seelisch beeinträchtigte junge Menschen in Serien und Filmen auf Netflix (Fortsetzung)

Unsere Praktikantin Luzie hat wieder Netflix geschaut. Reingezappt hat sie auch diesmal in Formate, die sich mit seelisch von der Bahn abgekommenen Jugendlichen beschäftigen. In der Serie „The End of the f***ing World“ geht es um einen selbsternannten Psychopathen, im Film „To the Bone“ um ein magersüchtiges Mädchen. Zu einem Fazit kommt Luzie am Ende ebenfalls. Aber lest selbst!

“The End of the F***ing World”

Die in diesem Jahr erschienene und sehr erfolgreiche Netflix-Serie “The End of the F***ing World” erzählt, wie die zwei Teenager Alyssa (gespielt von Jessica Barden) und James (Alex Lawther) gemeinsam von zu Hause weglaufen und sich auf einen Roadtrip begeben.

Die zwei Außenseiter haben beide mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen: Beiden Jugendlichen geht es in ihrer Familie nicht besonders gut. Alyssas Mutter und ihr Stiefvater fixieren sich nur noch auf die neuen Zwillingsbabys. Dabei rutscht sie immer mehr in den Hintergrund, sodass sie das Gefühl bekommt, dass es keinen Platz mehr für sie gibt. Bei James zuhause sieht es sogar noch schlimmer aus: seine Mutter hat sich, als er klein war, vor seinen Augen das Leben genommen. Sein Vater versucht seitdem, sich alleine um James zu kümmern, hat aber schon vor langer Zeit den Bezug zu ihm verloren.

Aber was stimmt mit James nicht? Leidet er vielleicht an einer Persönlichkeitsstörung? In der Medizin versteht man darunter eine extreme Ausprägung eines Persönlichkeitsstils, bei dem das Verhalten oder Empfinden von den Erwartungen der Gesellschaft abweicht, weil der Betroffene mit starren Mustern auf seine Umwelt reagiert. Die Symptome der schizoiden Persönlichkeitsstörung treffen ziemlich genau auf James sonderbares Verhalten zu, dass er in der Serie zeigt. Das Wort „schizo“ bedeutet „gespalten“, wobei bei der schizoiden Persönlichkeitsstörung gemeint ist, dass das Denken und das Fühlen voneinander „abgespalten“ sind. Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung wirken oft desinteressiert an anderen und leben zurückgezogen, mit wenig Kontakt zu ihren Mitmenschen, wobei sie jedoch meist nicht an ihrer Kontaktarmut leiden. Der Schizoide wendet seine Aufmerksamkeit verstärkt seiner inneren Gedankenwelt zu und zieht sich dahin zurück. Außerdem fällt es ihnen schwer, Zugang zu ihren Gefühlen zu finden und diese zu zeigen, insbesondere Freude. Dadurch wirken sie auf andere oft hölzern und starr.

Bei Serienfigur James lassen sich viele dieser Verhaltensmuster beobachten. Ein schockierendes Beispiel hierfür sieht der Zuschauer bereits zu Anfang, wenn in einer Rückblende der etwa 9-jährige James seine Hand in eine Fritteuse mit heißem Fett hält, weil er wissen möchte, ob er etwas fühlen kann.

Doch scheint die Persönlichkeitsstörung bei ihm nicht unumkehrbar zu sein. Ein Hinweis darauf ist, dass er während des Roadtrips eine echte emotionale Beziehung zu Alyssa aufbaut und immer mehr aufblüht.

„To the Bone“

Noch eindeutiger setzt sich der Film „To the Bone“ aus dem Jahr 2017 mit dem Thema Psychische Störungen auseinander. Er erzählt die Geschichte der 20-jährigen Ellen (Lilly Collins). Sie leidet schon seit mehreren Jahren an Magersucht und auch die bisherigen Therapieversuche waren bei ihr erfolglos.

Nachdem sich ihr Zustand immer mehr verschlechtert und unter dem Druck der Familie, nimmt sie schließlich einen Platz in einer Therapiegruppe, geleitet von dem unkonventionellem Arzt Dr. William Beckham (Keanu Reeves) an. Viele Aspekte der Krankheit werden im Film sehr anschaulich dargestellt: So zum Beispiel das ständige Kalorienzählen, die vielen selbstquälerischen Sit-ups vor dem Schlafen gehen und die zwanghafte Fixierung auf die Verringerung des Körpergewichts.

Auch Patienten, die an einer anderen Form der Essstörung leiden, wie zum Beispiel Bulimie und auch Essattacken (Binge-eating), werden dem Zuschauer vorgestellt. Jedoch wird leider nicht näher beschrieben, worum es sich bei diesen Krankheiten handelt. Man kann sich nun darüber streiten, dass die Therapie zu simpel beschrieben ist und auch die Gespräche mit den Ärzten oder anderen Patienten nicht bei jedem so locker waren und sind, wie im Film dargestellt. Doch die genaue Abbildung einer Therapie ist auch nicht das Ziel des Films. Vielmehr wollen sie den schwierigen Kampf einer jungen Frau mit ihrer Krankheit darstellen und über diese aufklären.

Obwohl es ziemlich schwierig ist, eine Krankheit, die sich bei jedem Betroffenen anders zeigt oder anders verläuft, in einem Film zu beschreiben, bemerkt man, dass sich viele Gedanken über die genaue Verfilmung gemacht wurden. Dadurch, dass die Regisseurin und Lilly Collins selber in der Vergangenheit an Essstörungen litten, gelang es Ihnen, die Krankheit authentisch und sehr realistisch darzustellen. Somit haben sie auch im Film das Missverständnis, dass Magersüchtige immer Schönheitsidealen nacheifern, aus dem Weg geräumt. Zudem zeigen die Darstellungen des Alltags in einer Einrichtung für Essgestörte und einer Sitzung der Familientherapie, wie schwierig das Leben mit einer Essstörung ist – und das nicht nur für die Betroffenen.

Obwohl dem Zuschauer viele verschiedene Dinge, die in Ellens Leben schieflaufen, präsentiert werden – wie beispielsweise das komplizierte Verhältnis zu der Familie – wird einem nie ein festgelegter Auslöser oder eine einfache Lösung gezeigt. Dies erscheint als eine sehr realistische Beschreibung des Problems, denn bei einer Essstörung (bzw. einer psychischen Störung im Allgemeinen) ist es nie so einfach, dass nur das Familienverhältnis der Auslöser oder einfach wieder anfangen zu essen die Lösung ist.

Fazit

Die filmische Darstellung von psychischen Störungen hat positive, aber auch negative Seiten.

So wird in den meisten Filmen und Serien über die Krankheiten aufgeklärt und durch das Behandeln des Themas auch in der Gesellschaft mehr darüber diskutiert. Jedoch stellt es sich immer noch als Schwierigkeit dar, die Krankheit weder zu verfälschen noch zu Verharmlosen. Außerdem ist es im Rahmen eines Films oder einer Serie schwierig, alle Facetten einer psychischen Störung authentisch darzustellen und der Komplexität der Probleme, vor denen die Betroffenen in der Realität stehen, gerecht zu werden. Meist sind weder betroffene psychiatrie-erfahrene Menschen noch Ärzte oder Therapeuten an den Produktionen beteiligt. Man sollte nicht vergessen, dass diese Filme und Serien zu allererst zu Unterhaltungszwecken gemacht werden und nicht primär der Aufklärung. Trotzdem finde ich es positiv, dass psychische Störungen zum Thema von vielen Filmen und Serien werden. Dadurch bekommt man die Möglichkeit, mehr über psychische Krankheiten zu erfahren und miteinander darüber zu sprechen.

 


Luzie Trostmann ist Schülerin und hat im Januar und Februar ein Praktikum beim Dachverband Gemeindepsychiatrie absolviert. Dabei hat sie auch im Projekt SOUL LALA mitgearbeitet.