26 Jul Schreiben macht was mit dir!
Barbara Krenzer arbeitet beim SOUL LALA-Projektpartner Werkgemeinschaft Rehabilitation Wiesbaden und bietet dort in der Tagesstätte Vivo jungen Menschen eine kreative (und sehr beliebte) Schreibwerkstatt an. Ihr Blogbeitrag ist der Startschuss – demnächst folgen weitere Texte, die von jungen Nutzerinnen und Nutzern geschrieben sind. Seid also gespannt!
Zum Ende der zweiten Klasse hin konnte ich endlich richtig lesen. Das Schreiben kam von selbst. „Zwerglein in Omis Garten“ in Schreibschrift und das Diktat über „Die Heinzelmännchen zu Köln“ waren das Tor zu einer besonderen Welt. Die Stadtbücherei. Die Bücher in meinem Elternhaus. Pflichtlektüren in der Schule, durchschmökerte Deutschbücher. Mit Büchern war ich glücklich.
Die Pubertät kam. Höhen und Tiefen. Tiefen und Höhen. Ich schrieb auf, was ich dachte und fühlte. Was ich dachte und fühlte, wurde gefunden. Das Tagebuchschreiben musste von der Agenda gestrichen werden. Das war die Ansage.
So wurde Lyrik mein Code, verdichtete Sprache meine „Posts“ in die Welt. Das macht süchtig und tut gut. Selbstwirksamkeit. Sich mit Sprache spüren. Und nicht mehr aufhören. Schreiben hat mich gestärkt. Schreiben macht mich froh. Als 1991 an der Universität eine Kreative Schreibwerkstatt als Methode der Erwachsenenbildung angeboten wurde, dachte ich nur „Na endlich!“
Zwei Jahre später machte ich gemeinsam mit einer Freundin und Studienkollegin eine Weiterbildung zur Anleiterin von Schreibwerkstätten beim Institut für Kreatives Schreiben in Berlin. Bis zur Jahrtausendwende haben wir bei verschiedenen Trägern von Erwachsenenbildung Menschen Kreative Schreibwerkstätten angeboten.
Dann habe ich mich allein auf den Weg gemacht und mit Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Zusammenhängen geschrieben. Was für eine Bereicherung!
Seit 2010 biete ich nun Kreatives Schreiben in der Werkgemeinschaft an, seit 2012 in der Tagesstätte Vivo. Dort gehört das Kreative Schreiben zum Wochenplan. Vivo ist ein Lernort auf Zeit für junge Menschen mit psychischer Beeinträchtigung auf ihrem Weg in Selbständigkeit und Selbstbestimmung.
Jeden Mittwoch von 9:30 bis 10:15 Uhr wird geschrieben. Nach Möglichkeit. Erzwingen lässt sich das nicht. Aber Jede*Jeder, der sich darauf einlässt, hat die Gelegenheit sich auszudrücken. Ob jemand dem Schreibimpuls folgen mag oder sein Glück im Gegentext oder in ganz anderen Dimensionen findet, entscheidet Jede*Jeder selbst. Vorlesen ist natürlich sehr gewünscht, weil auch Zuhören wichtig ist, andere Perspektiven wahrnehmen, die Phantasie der anderen kennenlernen – das sind so gute Gelegenheiten. Besonders um Wertschätzung zu erfahren. Denn gerupft wird hier niemand. Hier geht es nicht darum Goethe oder Schiller den Rang abzulaufen, sondern sich selbst in seinem Wachstum wahrzunehmen. Zwischendrin gibt es auch mal ein Diktat aus einer Kurzgeschichte. Auch das ist Schreiben.
Es gibt „Mittwöche“, die sind zäh, weil Müdigkeit durch den Raum wabert, weil die Stimmung im Keller ist und das Glück mit dem Stift abgerufen werden soll. Da gibt es schon mal verdichtetes Schweigen und stille Stifte. Ich würde sagen, dass es einfach dazu gehört zu diesen „Mittwöchen“, die mir heimlich die Tränen in die Augen treiben, ob dieser schreibenden Stille, der wortgewordenen Ideen und Gedanken, die sich zu einem so berührend Vollkommenen formen, das sich mit jedem Meister messen kann. Und wenn es dann dazu kommt, dass Dichterin oder Dichter das Lob und das Staunen ihrer Zuhörer annehmen können. Dann ist das Glück. Tiefempfunden. Und jede Träne wert.
Schreiben macht was mit dir! Schreiben macht was mit mir! Es tut uns gut!
Foto: The New York Public Library https://digitalcollections.nypl.org/items/510d47e1-431a-a3d9-e040-e00a18064a99