Recovery und Gruppenleitung: Ein persönliches Abschlussgespräch (Teil 1)

Recovery und Gruppenleitung: Ein persönliches Abschlussgespräch (Teil 1)

Katharina und Anna* kennen sich durch ihr Studium im pädagogischen/ sozialen Bereich und haben bis vor kurzem eine Recovery-Gruppe in einer Berliner Beratungsstelle geleitet.

Recovery kam in den 1990ern in den USA auf und beruht auf dem festen Willen von engagierten Psychiatrie-Erfahrenen, sich gegen das Stigma von chronischer Erkrankung und deren Unheilbarkeit zu stemmen. Recovery bedeutet, wieder Hoffnung zu haben. Mit dieser positiven inneren Haltung ist es möglich, die Selbstheilungskräfte anzuregen und aktiv Einfluss auf die Gestaltung des eigenen Lebens zu nehmen.

Anna und ihre Arbeit im Bereich Recovery wurden schon vor einem Jahr in diesem Artikel vorgestellt. In den letzten 18 Monaten leitete sie die Gruppe gemeinsam mit Katharina – bedingt durch die Corona-Pandemie zeitweise online oder in einem großen Garten. In einem Gespräch reflektieren sie den gemeinsamen Prozess und resümieren, was ihnen die Recovery-Gruppe bedeutet, wie sie es empfanden, zu moderieren und tauschen sich über das Thema „eigene Betroffenheit“ aus.

 

Sich selbst reflektieren und die eigene Rolle als Moderatorin finden

 

Anna: Die Recovery-Gruppe hat mich jetzt die letzten drei Jahre begleitet. Angefangen hat alles damit, dass ich selbst eine Krise hatte und an der Gruppe teilnahm. Das Konzept fand ich cool. Die damaligen Moderator*innen haben dann angeboten, dass Teilnehmer*innen bei der Vorbereitung dabei sein können, das fand ich spannend und so bin ich dann quasi selbst in die Moderation reingerutscht. Du kamst dann ja vor 1,5 Jahren dazu, weißt du noch, wie deine Anfangszeit so war, was du am Anfang über die Gruppe gedacht hast?

Katharina: Die Idee, mal selbst eine Gruppe mitzugestalten fand ich schön, ich war aber auch noch unsicher. Als du mich dann gefragt hast, habe ich mich gefreut und hatte Lust, das mit dir zusammen auszuprobieren. Ich hatte vom Recovery-Konzept dann tatsächlich von dir erfahren, du hattest mir ja mal ein Buch zu dem Thema ausgeliehen. Aber ich fand vor allem cool, was du über die Gruppe erzählt hast.

Anna: Weißt du noch, was ich dir erzählt habe?

Katharina: Ja, ich überlege gerade. Woran ich mich erinnere ist, dass du davon erzählt hast, dass ihr gemeinsam mit den Teilnehmer*innen Themen sammelt und es viel um Selbstbestimmung geht. Das war zumindest das, was bei mir hängen geblieben ist. Das fand ich gut, weil ich das Gefühl habe, dass man in der Gesellschaft generell und nochmal verstärkt, wenn man gerade eine Krise hat, häufig fremdbestimmt ist, das heißt, Andere definieren, was gut und richtig für einen ist. Sowohl durch äußere Vorgaben, als auch durch gesellschaftliche Bilder, mit denen man konfrontiert wird. Und es kann sehr wichtig und wohltuend sein, sich regelmäßig mit diesen Bildern auseinanderzusetzen und eine eigene Definitionsmacht über die eigene Geschichte zu erlangen. Und das fand ich an dem, was du erzählt hast, interessant.

Katharina und Anna in Berlin

Anna: Mir hat an den Gruppensitzungen immer besonders gefallen, dass wir oft einen Meta-Blick, also einen Blick von oben, sowohl auf manches in der Psychiatrie als auch auf eigene Erlebnisse, geworfen haben. Somit haben wir in der Gruppe zum einen über die ganz eigenen, persönlichen Themen gesprochen, aber eben auch reflektiert, was das für Erfahrungen sind, die gemacht wurden; Was hat mir geholfen, was hat mir nicht geholfen? Was ist mir widerfahren und was sind die Hintergründe, welche Bilder von z.B. Normalität und Abweichung von Normalität sind damit verbunden, wie ist Hilfe strukturiert? Und wir haben oft gemerkt, dass es eben kein Zufall ist, dass Menschen ähnliche Erfahrungen bei der Suche nach Hilfe oder auch bei Gesprächen mit dem Umfeld sammeln. Und darüber zu sprechen ist für mich ein wichtiger Aspekt von Selbstbestimmung, denn so kann man zum einen lernen, was man selbst möchte und braucht aber auch mit anderen zusammen Kritik entwickeln und formulieren, was man nicht mehr möchte. Ich habe durch die Gruppe gemerkt, dass es mir viel Spaß macht, zu diskutieren und mich über die Hintergründe von Erfahrungen auszutauschen. Wobei ich da auch manchmal unsicher war, ob das manchmal auch zu viel theoretische Auseinandersetzung war.

Katharina: Also ich finde, das war dann ja eher so, dass es in manchen Gruppensitzungen mehr war und in anderen weniger. Und sicherlich gibt man als Moderatorin viel mit rein und beeinflusst damit, aber es liegt ja auch total viel bei der Gruppe und bei den Menschen, die die Gruppe besuchen und bei den jeweiligen Interessen.

Anna: Ja, aber es beinhaltet ja auf jeden Fall auch ein gewisses Konfliktpotential, Diskussionen zuzulassen. Das war ja auch so eine Frage, mit der wir uns öfter beschäftigt haben; wie ist es möglich, dass man sowohl von sich sprechen kann, also über ganz akute Themen; wie geht es mir gerade, wie fühle ich mich. Und wie ist es gleichzeitig möglich, eine Diskussion über gesellschaftliche Verhältnisse zu führen, die dann nicht zu konflikthaft wird, weil wir ja auch den Anspruch hatten, einen möglichst sicheren Raum zu bieten.

Katharina: Das finde ich dann auch in Bezug auf unsere Rolle so spannend. Denn das ist ja eh so eine wichtige Frage, die man irgendwie ausloten muss. Wie viel Raum möchte man der eigenen politischen Haltung in der Arbeit geben? Ich finde es wichtig, eine Haltung zu haben und die nehme ich auf jeden Fall auch mit in die Arbeit. Aber ich würde dann trotzdem in anderen Kontexten öfter denken, dass gerade vielleicht nicht so wichtig ist, was ich darüber denke. Aber ich finde, in der Recovery-Gruppe waren wir ja schon sehr als wir selbst da, mitsamt unseren Erfahrungen und unseren Einstellungen. Und ich finde, dadurch ist es dann ja auch nochmal näher dran an der Privatperson, die man ist.

Anna: Und ich finde, meistens ist es uns doch ganz gut gelungen eine Atmosphäre zu schaffen, in der sehr unterschiedliche Haltungen und Menschen da sein konnten. Wobei es ja doch öfter vorkam, dass Teilnehmer*innen irgendwann nicht mehr zur Gruppe kamen und wir dann nicht genau wussten, woran es lag. Da würde ich vielleicht auch jetzt nach einigen Jahren sagen, dass mir das Thema Verbindlichkeit inzwischen doch etwas wichtiger geworden ist als am Anfang.

Katharina: Voll! Wobei ich finde, das ist halt auch immer eine Abwägung. Einerseits wären Sicherheit und Kontinuität sehr schön, aber es ist ja auch immer die Frage: Zu welchem Preis? Also ich finde es auch sehr wichtig, dass es ein offenes Angebot gibt und es eben auch okay ist, wenn man mal kommt und wenn es einem nicht so gut geht, dass man dann auch mal nicht kommt. Das ist dann die Frage, wie man mehr Verbindlichkeit herstellt, ohne dass es ausschließend für andere ist.

Anna: Auf jeden Fall war auch immer spannend, wie sich die Dynamiken in der Gruppe entwickelt haben und wir die die Dynamiken wahrgenommen haben.

Katharina: Interessant war, dass unsere Einschätzung dann teilweise so gar nicht stimmte. Gerade bei den Online-Sitzungen, die für uns ja auch noch ungewohnt und neu waren, kam die Stimmung der Gruppe ja manchmal nicht so richtig bei uns an. Und erstaunlicherweise liefen die Sitzungen aber ja oft voll gut. Am schönsten fand ich´s von der Atmosphäre her aber auf jeden Fall im Garten, da hatten wir viel Raum, den wir nutzen konnten.

Anna: Ich fand den Garten auch von der Gesprächsatmosphäre her am angenehmsten.

Katharina: Ja, auch die Vorbereitungszeiten fand ich dort besonders schön. Für mich war bei der Moderation an sich immer besonders wichtig, sich erstmal mit sich selbst auseinanderzusetzen. Also dass man als Zugang das Thema eben nicht nur theoretisch und methodisch vorbereitet, sondern dass man auch schaut, was habe ich für Erfahrungen oder was verbinde ich mit dem Thema, was interessiert mich daran?

Anna: Ja, die Vorbereitungszeiten waren für mich auf jeden Fall auch sehr wichtig. Wir haben dann ja meistens erstmal so eine halbe Stunde bis Stunde über unseren Zugang zum jeweiligen Thema gesprochen. Also zu Themen wie beispielsweise Beziehungen, Diagnosen, Scham, Ressourcen oder Barrieren. Danach sind wir dann in die konkrete Vorbereitung übergegangen und haben geschaut, wie wir die Sitzung strukturieren wollen, meist mit Arbeitsblättern und mit verschiedenen Fragen. Und oft waren auch noch andere Menschen bei der Vorbereitung dabei, die zuvor als Teilnehmer*innen die Gruppe besucht hatten.

Katharina: Ja, fand ich auch cool, wenn noch mehr Menschen dabei waren. Also manchmal hat es dann insgesamt etwas länger gedauert, die Sitzung zu strukturieren, aber grade für den Austausch war es voll schön.

Anna: Für die Moderation fand ich es oft entspannend zu wissen, wir sind drei Menschen, die die Gruppe mittragen.

 

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*Namen von der Redaktion geändert

Beitragsbild von: @juni.ri.art