Neue Perspektiven und viel Diskussionsstoff beim Opening von soulspace in Berlin

Neue Perspektiven und viel Diskussionsstoff beim Opening von soulspace in Berlin

Die neue Beratungsstelle soulspace in Berlin bietet jungen Menschen psychologische, soziale, berufliche und medizinische Unterstützung bei psychischen Schwierigkeiten. Sie wird zusammen vom SOUL LALA-Projektpartner ajb GmbH und den Vivantes Kliniken Am Urban und am Friedrichshain betrieben. SOUL LALA fördert in der Anlaufstelle für 15-35-Jährige die Beschäftigung einer Peer-Beraterin. Am 16. Oktober 2018 fand die Eröffnungsfeier im Aquarium am Südblock statt und rund 300 interessierte Gäste waren dabei.

rbb-Radiojournalist René Träder moderierte die Veranstaltung.

Moderierend durch den Tag führte der Radiojournalist René Träder. Er begrüßte auf dem Podium sehr unterschiedliche Protagonisten. – darunter viele Expertinnen und Experten, die selbst Erfahrungen mit der Psychiatrie gemacht haben. Mario Schellong, bei der ajb für die Regionalleitung im Berliner Zentrum zuständig, freut sich über den Zuspruch und das Interesse an soulspace. „Es ist großartig, dass wir so viel Aufmerksamkeit bekommen. Und es ist gut, dass sich unser Beratungsangebot rumspricht, denn oftmals können sich anbahnende seelische Erkrankungen durch frühzeitige Unterstützung besser behandelt oder sogar ganz abgewendet werden.“

Zu den Teilnehmerinnen gehört die Rapperin Sookee. Sie hat selbst die Berliner Psychiatrien von innen gesehen – ihre Kritik verarbeitet sie in ihren Songs, von denen es auf der Veranstaltung zwei zu hören gab. So klingt das im Lied „SSRI“: „Da ist kein Kuckucksnest zum drüber fliegen – Überwachen, strafen, übertrieben- 2018 wo nichts mehr schockt – Wir jagen ihnen etwas Strom durch den Kopf – Welche Realität darf es denn sein – Der Kittel ist weiß und die Frage zu klein – Was ist die Alternative zur Psychiatrie? – Der Aufenthaltsraum wird hübsch dekoriert.“

Tja, ist soulspace die angefragte Alternative zur Psychiatrie? Das nicht, aber wohl doch eine umfassende und sinnvolle Einbindung der Medizin in einen umfangreichen Ansatz durch den Zusammenschluss von Kontakt-, Beratungs- und Behandlungsinitiativen unter einem Dach in Kreuzberg. Gerade weil die Erstberatung durch den gemeindepsychiatrischen Träger ajb stattfindet, werden auch alle nicht-klinischen, im sozialen Umfeld der jungen Menschen verfügbaren Möglichkeiten ausgelotet, die im Krisenfall helfen können. Es geht darum, präventiv zu arbeiten und so nach Möglichkeit erst gar nicht auf einen Klinikaufenthalt angewiesen zu sein.

Erfahrungsexpertinnen in der Diskussion: Kerstin Koschinski und Rapperin sookee.

Janine Berg-Peer, Angehörige eines psychisch erkrankten Familienmitglieds, findet das gut: „Wenn es soulspace nicht schon gäbe, dann müsste es erfunden werden.“ Auch die Erfahrungsexpertin Kerstin Koschinski zeigt sich im Podiumsgespräch überzeugt. „Mir hätte es damals in der Krise geholfen, wenn ich so ein Angebot gehabt hätte.“

Für die in der Psychiatrie Tätigen steht fest: Es muss etwas getan werden, um die vielen jungen Menschen besser versorgen zu können, die mit zum Teil schweren psychischen Störungsbildern nicht ausreichend oder gar nicht behandelt werden. Prof. Dr. Andreas Bechdolf, Chefarzt in der Psychiatrie im Vivantes-Klinikum brachte Vergleiche, die nachdenklich machen: „Wenn bei Herzinfarkten nur jeder dritte eine Behandlung bekommen würde, dann würde ein Aufschrei durch die Gesellschaft gehen. Oder wenn man Betroffenen sagen würde: Komm doch selbst zur Rettungsstelle, wir können dich leider nicht zuhause versorgen.“

Turbulent wurde es, als Vertreterinnen und Vertreter des Bundesverbands der Psychiatrie-Erfahrenen (BPE) und anderer Selbsthilfeorganisationen eine Gegendarstellung zu den Zielen und Methoden von soulspace verteilten und auch in der Podiumsdiskussion vehemente Kritik äußerten. Dabei zielten sie besonders auf das FRITZ Frühinterventions- und Therapiezentrum des Vivantes Klinikums ab, wo es nach Sicht der Aktivisten besonders häufig zu Fixierungen, ungewollter Medikamentengabe und Verstößen gegen die UN-Behindertenrechtskonvention komme. Auch die angeblich mangelnde Einbindung von Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung wurde kritisiert.

Im „Zwiegespräch mit Gott“: Autor Ahne liest vorm gespannten Eröffnungspublikum.

 

Auf Nachfrage erklärte Mario Schellong: „Es stimmt nicht, dass keine Erfahrungsexperten mit eingebunden waren. Erfahrungsexpertinnen waren bei der Vorbereitung von Soul Space involviert und haben ja auch heute mit auf dem Podium gesessen. Und durch die Förderung von SOUL LALA können wir eine zusätzliche Peer-Beraterin im soulspace Team beschäftigen. Bei aller berechtigter Kritik, die einzelne Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung an der Versorgung und der Klinik haben, hätten wir uns doch gefreut, wenn man vorher auf uns und die anderen an soulspace beteiligten Akteure zugekommen wäre. Viele unserer Kolleginnen und Kollegen haben die Vorwürfe persönlich sehr getroffen.“ Auch den Vorwurf des BPE, soulspace sei ein Zulieferer für die Kliniken, nennt Mario Schellong abwegig. „Wir bekommen die Förderung völlig unabhängig davon, in welche Richtung wir beraten.“ Umgekehrt werde ein Klinikaufenthalt sogar weniger wahrscheinlich, wenn der Erstkontakt über einen gemeindepsychiatrischen und lebensweltorientierten Träger wie die ajb gehe und bei Bedarf die Klinikkolleg*innen für eine ambulante Behandlung zur Verfügung stünden. Gleichzeitig war sich Mario Schellong sicher: „Wir Profis und die Betroffenen streiten alle für die gleiche Sache.“

Catering ohne Tiere vom Social Deli der ajb.

So endete ein spannender Tag, wo viele Perspektiven ihren Platz fanden. Es wurde klar, dass ein Angebot, das junge Menschen abholt und ihnen im Krisenfall hilft, dringend notwendig ist. Gleichzeitig war zu spüren, dass es bei Betroffenen vielfach starke Vorbehalte gegenüber der Psychiatrie gibt. Uns interessieren die Hintergründe und die Perspektiven der Betroffenen. Wir möchten das Thema mit allen Beteiligten an anderer Stelle ausführlicher besprechen. In diesem Sinne schließen wir uns deshalb Karin Hirdina, Geschäftsführerin der ajb GmbH, an, die noch auf der Veranstaltung die Kritiker vom BPE zum Dialog einlud: „Wir können soulspace nutzen, um ein Forum zu schaffen, um Missstände anzusprechen und zusammenzuarbeiten.“

Leckeres Catering gab es übrigens von den Kolleginnen und Kollegen vom Deli Social, einem Beschäftigungsangebot der ajb. Hier stellen junge Menschen kreative veganes Speisen her und bewirten trägereigene Veranstaltungen. Dazu mehr in einem kommenden Artikel und Video.

(Fotos: Anja Plonka)