Meditation oder die Erkenntnis, dass du völlig verrückt bist

Meditation oder die Erkenntnis, dass du völlig verrückt bist

Peter von SOUL LALA meditiert seit einem halben Jahr. Mittlerweile ist die Achtsamkeitsübung zu einem Skill geworden. Was er dabei für Erfahrungen gemacht hat und welche konkreten Schwierigkeiten man mit Meditation angehen kann, beschreibt er in diesem Artikel.

Ich sitze mit geschlossenen Augen auf einem Kissen im Wohnzimmer, die Beine etwas unbequem übereinandergeschlagen. Mein Ziel: Mich nur auf meinen Atem fokussieren. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Es ist noch früh am Morgen, die Welt um mich herum ist still. In meinem Kopf aber zündet ein Feuerwerk aus Gedanken, die mich ablenken. Eine Idee für einen Artikel – woran ich unbedingt heute noch beim Einkauf denken muss – ein Mitreisender im Zug, der mich gestern aufgeregt hat – und dass mein Knöchel schmerzt, wie ich so auf ihm sitze. Ein Gedanke folgt dem nächsten, ganz unbewusst. Bis es mir auffällt und ich mir frustriert Gedanken über meine vielen Gedanken mache. Wie war noch gleich der Spruch, den ich irgendwo gelesen hatte? „Wenn du dich nicht mal auf deinen Atem konzentrieren kannst, auf was sonst in deinem Leben willst du dich dann konzentrieren können?“ Autsch. Also zurück: Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen…

Wahrscheinlich geht es vielen so: Rings um uns herum scheint die Welt immer schneller und hektischer zu werden. Auf die Frage „Wie geht es dir?“ lautet die Antwort oft: „Ich bin im Stress!“ Aber liegt das alles wirklich an der Welt draußen? Oder hat es auch mit dem zu tun, was in uns passiert? Achtsamkeit im Allgemeinen und Meditation im Speziellen sind derzeit viel besprochene Themen in Medien, Blogs und in sozialen Netzwerken, um mehr Ruhe und Ausgeglichenheit zu erreichen. Auch ich habe nach vielen Jahren wieder damit angefangen, fast jeden Tag 15 Minuten am Stück zu meditieren.

Wo geht es hier zur Gegenwart?

Aber was macht man eigentlich, wenn man meditiert? Meine persönliche Erklärung wäre: Man versucht sich soweit wie möglich an die Wahrnehmung der Gegenwart anzunähern. Klingt seltsam? Ja, ist es irgendwie auch. Um ein wenig weiter auszuholen: Im Alltag macht man sich so viele Gedanken über die Vergangenheit und die Zukunft. Direkt beeinflussen können wir beides nicht, das eine ist geschehen, das andere noch nicht da. Jenseits von guten Lehren aus der Vergangenheit und sinnvollen Plänen für die Zukunft entstehen daraus negative Empfindungen: Endlose Gedankenschleifen über verpasste Chancen und große Ambitionen, Melancholie, Ängste oder Wut. Der Buddhist spricht hier vom „Anhaften“. Man klebt sozusagen an seinen Gedanken und das sorgt für Leiden.

Deshalb geht es bei der Mediation darum, unsere Aufmerksamkeit auf die einzige Realität zu lenken, in der wir existieren – die Gegenwart. Irgendwie logisch, oder? Das macht man, indem man sich auf den Atem konzentriert, wie er in unseren Körper ein- und wieder ausströmt. Warum? Weil der Atem ein Anker in der Gegenwart ist. Und weil man ihn praktischerweise immer dabei hat. Die Kunst ist es nun, aufkommende Gedanken, Wünsche oder Ängste kommen zu lassen, sie kurz wahrzunehmen und dann wieder gehen zu lassen – so wie Wolken, die vorbeiziehen.

Lass das Wasser zur Ruhe kommen

Der buddhistische Mönch Bhante Gunaratana aus Sri Lanka hat ein wunderbares Buch für Meditationsanfänger mit dem Titel „Die Praxis der Achtsamkeit“ geschrieben. Er nutzt darin ein schönes Sinnbild, das die Wirkung von Meditation erklärt: Der Verstand ist wie ein Glas voll mit schlammigem Wasser. Steht es lange genug still, dann sinken die festen Teile zum Boden des Glases und das Wasser wird klar. Und wenn man nur lange genug sitzt und auf seinen Atem achtet, klärt sich der Verstand. Das würde ich so unterschreiben. Das faszinierendste ist aber, das man eine heilsame Distanz zu sich selbst und seinen Gedanken aufbaut. Man nimmt sich so selbst wahr und hat die Gelegenheit, wie von außen auf das eigene Denken zu schauen. Ich bin in der Mediation Student meines Innenlebens und Studienobjekt zugleich. Das ist alles sehr schwierig zu beschreiben. Was es aber bei vielen Menschen bewirkt: Man wird ruhiger, gelassener und verständnisvoller gegenüber sich selbst und anderen. Und was einem im Kopf so herumfliegt, fängt an sich zu sortieren.

Auch nach etwa einem halben Jahr dieser Erkenntnisreise habe ich allerdings immer noch das Gefühl, gerade einmal an der Oberfläche zu kratzen. Die intensive Selbstbetrachtung kann natürlich auch Probleme mit sich bringen: Vielleicht lenkt man sich im Alltag ja auch so viel ab, weil man sich eigentlich gar nicht so gerne mit sich selbst beschäftigten will? Durch Achtsamkeitsübungen lernt man sich besser kennen – und auf diese Bekanntschaft sollte man vorbereitet sein.

Klingt alles vielleicht spirituell, ist es meiner Ansicht aber gar nicht. Es ist einfach das, was passiet, wenn man seinen Verstand zur Ruhe kommen lässt. Ein Satz in Bhantes Buch ist mir dazu besonders im Kopf geblieben und ich musste laut lachen, als ich ihn zum ersten mal las: “Irgendwo in diesem Prozess [der Meditation] wirst du dich der plötzlichen und schockierenden Erkenntnis stellen, dass du völlig verrückt bist.” Das beruhigende dabei: Das ist völlig normal. So funktioniert unser Gehirn. Sich dessen bewusst zu werden, ist schon ein kleiner Erfolg in der Meditation. Was man versteht, das kann man leichter beeinflussen.

Bezwinge dein Monkey Brain

Meditation ist vermutlich deswegen im Kommen, weil sie ein grundsätzliches Problem unserer Gegenwart angeht: Dass wir unseren Verstand nicht mehr zu Ruhe kommen lassen – wir befinden uns mit dem Schlammwasser im Glas auf einer endlosen Achterbahnfahrt, um im Bild von oben zu bleiben. Die meisten von uns betreiben ständig so etwas „Anti-Meditation“ durch permanente Erreichbarkeit, Mediennutzung und Kommunikation, Berieselung und Ablenkungen und die Suche nach dem schnellen Dopamin-Kick für ein kurzes Glücksgefühl. Wir sind gefühlt gleichzeitig überall und mit allen vernetzt – aber selten wirklich bei uns und im Moment präsent.

Haben wir uns diese Form der Lebensführung wirklich bewusst so ausgesucht oder sind wir da kollektiv irgendwie reingeschlittert – und nun merkt man, dass das irgendwie gar nicht so gut ist? Was die meisten als Stress empfinden, ist der Standard-Modus, in dem wir unser Gehirn operieren lassen: Ständig unter Strom, ungefilterte Informationen, zahllose Reize buhlen um unsere Aufmerksamkeit, kurze Reaktionszeiten und keine Zeit zum Sortieren, was davon eigentlich wichtig ist und was nicht. Damit gesund umzugehen ist nicht unmöglich, aber eine Herausforderung. Und diese Form der „Anti-Meditation“ kann zum Verschleiß an der Seele führen. Wie so oft, wenn es um die Seele geht, merken wir den ungesunden Umgang mit ihr aber deutlich später als wenn es um unseren Körper geht. Mediation ist wie der Schalter, der der Kirmes im Kopf den Strom abdreht. Zum Beginn hallt der Lärm aber noch nach, wenn man sich hinsetzt und die Augen schließt.

Ich finde es immer noch schwierig, die vielen Gedanken in den Griff  (oder vielleicht gerade „aus dem Griff“?) zu bekommen. Bhante nennt dieses Phänomen „Monkey Brain“. Ich muss immer wieder schmunzeln, wenn ich mir während der Mediation dieses Bild vor Augen führe: Der eigene Verstand als kleines Äffchen, rasend schnell abzulenken, laut schreiend und wie von Baum zu Baum von Gedanken zu Gedanken springend.

Wissenschaftlich geprüft und für gut befunden

Während in anderen Kulturen Meditation schon seit Jahrhunderten praktiziert wird, erkennen im Westen immer mehr die Meditation auch als (psycho-) therapeutische Maßnahme eingesetzt: Der Herzschlag wird verlangsamt, die Atmung vertieft, Muskelspannungen reduziert. Studien belegen, dass regelmäßige Meditation beruhigend wirken und etwa gegen Angsterkrankungen und Depressionen eingesetzt werden kann. Hirnforschungen zeigen, dass der meditative Zustand neurologisch als Veränderung der Hirnwellen messbar ist. Die Amygdala, das Angstzentrum des Gehirns, ist beim Meditieren weniger aktiv – während andere Regionen des Organs, die für positives Empfinden, Dankbarkeit und Einfühlungsvermögen zuständig sind, verstärkt agieren. Bei Studien mit tibetischen Mönchen wurde sogar nachgewiesen, dass sich die Struktur des Gehirns durch Mediation positiv verändert. Achtsamkeitsübungen sind also alles andere als „nur faul Rumsitzen“ – sondern ein Workout für das Gehirn und unsere Seele. Das großartige daran ist: So wie regelmäßiger Sport positive Auswirkungen auf das Leben jenseits des eigentlichen Trainings hat, so merke ich, dass ich durch die Meditation ruhiger, entspannter und gelassener geworden bin. Gewohnheiten und Denkmuster aus der Meditation „schwappen“ sozugagen über ins normale Leben. Und auch ganz akut helfen die Methoden. Wenn die nächste Bahn Richtung Feierabend ausfällt? Einatmen. Ausatmen. Fokussieren! So hat der Frust wesentlich weniger Möglichkeiten, anhaften zu bleiben. Und man freut sich stattdessen darüber, dass man nun mehr Zeit hat, dass spannende Buch zu lesen, dass man in der Tasche hat.

Was ich hier beschreibe, ist selbstverständlich nur meine eigene Perspektive und ich fühle mich nach wie vor als absoluter Laie in Sachen Meditation. Es gibt sehr viele Wege, um zu meditieren. Ich persönlich finde die Atem-Meditation aufgrund ihrer Schlichtheit für mich als Anfänger am geeignetsten. Wenn ihr mehr Infos sucht: Es gibt neben dem im Text erwähnten Buch viele weitere sowie Apps fürs Smartphone. Wenn ihr es auch einmal probieren wollt und es nicht alleine machen wollt: Es gibt vielerorts Meditationskurse und -gruppen.

Foto: Brenkee/Pixabay

 


Wer noch etwas tiefer ins Thema einsteigen möchte, dem sei die Arte-Doku „Die Heilsame Kraft der Meditation“ ans Herz gelegt.