03 Sep Laufend ausgefragt – „Von der Hochspannung zurück ins Hier und Jetzt“
Unser neuer Themenschwerpunkt bei SOUL LALA dreht sich um „Skills“. Wenn wir von Skills (in der Therapie und darüber hinaus) sprechen, meinen wir Fähigkeiten und Fertigkeiten, die dazu dienen, mit Gefühlen, Stimmungen oder Erinnerungen besser umzugehen und sich bei Spannungen wieder zu erden. Anja von SOUL LALA war mit der Skill-Nutzerin Franziska spazieren und hat sie gefragt: Welche persönlichen Methoden verwendest du? Gibt es Skills, die dir besonders gut helfen? Hast du ein Ritual, dass du hier immer machst? In welchen Situationen nutzt du deine Skills?
Anja: Wo sind wir hier?
Franziska: Wir sind hier im wunderschönen Ahrtal. Die Ahr fließt direkt neben der Klinik entlang, an der ich gerade meine Reha mache. In dieser Klinik war ich auch schon zweimal stationär im letzten und vorletzten Jahr – ich habe hier viel gelernt, fühl mich gut aufgehoben und wohl.
F: Das hat viele Gründe. Aktuell bin in der Reha, weil ich von der „Krankenkasse ausgesteuert“ werde, wie es in der Fachsprache heißt. Das ist dann sowas wie eine Pflicht. Außerdem ziehe ich in Erwägung, für zwei Jahre Erwerbsminderungsrente zu beantragen, um mit meinen ganzen Diagnosen und den Fähigkeiten, die ich in den Klinikaufenthalten an die Hand bekommen habe, umgehen zu lernen und in den Alltag zu integrieren. Danach möchte ich wieder in den Job zurück. Von der Reha erhoffe ich mir, dass meine Leistungsfähigkeit festgestellt wird und neue Perspektiven für die Zukunft aufgezeigt werden.
A: Mit welcher Erkrankung bist du hier?
F: Momentan habe ich eine rezidivierende mittelgradige Depression.
Im Laufe meiner Therapie und den Klinikaufenthalten kamen immer mehr Diagnosen dazu. Begonnen hatte es mit der Diagnose Depression, dann kam die Posttraumatische Belastungsstörrung dazu, schließlich die emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ und nun – seit neustem festgestellt – eine bipolare Persönlichkeitsstörung.
A: Wow – das sind schon ein paar.
F: Ja! [lacht] Letztendlich hängen alle Diagnosen miteinander zusammen. Mich hat die Masse anfangs auch abgefreakt, aber letztendlich laufe ich damit seit meiner Jungend rum. Durch diese Diagnosen weiß ich aber endlich, woran ich bin und kann daran arbeiten, besser damit zu leben und alles zu verarbeiten.
A: Ist dein Alltag dadurch beeinträchtigt?
F: Es kommt stark auf die Phasen an. In depressiven Phasen geht gar nichts. Da ist es schon schwer aus dem Bett heraus zukommen, zu kochen oder den Geschirrspüler anzustellen. In den Hochphasen neige ich zur Verausgabung und stürze mich in Arbeit. Diese Phase kann auch einige Monate andauern und danach rutsche ich dann direkt wieder in die Depression hinein. Ein stabiles Arbeits- und Privatleben ist so schwierig.
A: Was hält dich gesund? Was tut dir im Alltag gut?
F: Mich stärken soziale Kontakte, Sport, frische Luft und natürlich Skills, die ich in unterschiedlichen Kliniken gelernt habe. Ich wende die Skills in Anspannungssituationen an und auch vorbeugend, damit ich erst gar nicht in eine hohe Anspannung gerate. Die Anspannungsphasen werden in drei Stufen eingeteilt: niedrig, mittel und hoch. Manchmal gerate ich aber doch in eine sehr hohe Anspannung, weil ich zu spät meine Emotionen wahrnehme und dann Probleme habe diese zu regulieren. Dann habe ich verschiedene Skills, die ich anwenden kann und so nicht Gefahr laufe, mich selbst zu verletzten.
A: Was hat dir geholfen deine Emotionen und die Anspannung besser wahrzunehmen?
F: Ganz wichtig für mich war die Psychoedukation, also das Wissen über das, was hinter den Diagnosen steckt. Das war auch wichtig um zu verstehen, was mit mir los ist (und das schon seit Jahren). Die Psychoedukation hat mir auch geholfen, den Zustand besser zu akzeptieren. Anfangs war jede Diagnose ein Schock. Nach und nach hat mich das aber beruhigt, weil ich mich besser verstanden habe und nun damit arbeiten kann.
Was mir auch sehr gut geholfen hat, war Achtsamkeits-Training. Das kann ich jedem ans Herz legen. Am Anfang dachte ich: „Was für ein Bullshit das funktioniert nie.“ Achtsamkeits-Training bedeutet: Alles so wie es im Moment ist im Hier und Jetzt zu akzeptieren. Es ist gar nicht so einfach und der größte Fehler ist am Anfang sich über sich selbst zu ärgern wenn die Gedanken abschweifen. Ich empfehle, einfach dran zu bleiben und weiter zu üben. Bei mir hat es nun drei Jahre gedauert bis sich die ersten positiven Effekte eingestellt haben.
A: Was sind deine Lieblings-Skills?
F: Es gibt hunderte verschiedene Skills. Jeder muss da für sich diejenigen aussuchen, die für ihn gut sind. Was tut mir gut? Wann mache ich welchen Skill? Bei hoher Anspannung nehme ich eine Brausetablette in den Mund und lutsche diese Tablette. Dieser Geschmack ist so extrem, dass ich da an nichts mehr denken kann und direkt aus der Hochspannung wieder im Jetzt bin. Was auch immer sehr gut funktioniert, ist Dinge irgendwo gegen werfen, natürlich so dass niemand sich verletzt. Ich mache das sehr gern am Fluss und werfe Steine dort rein. Jeder Stein steht dann für eine Sache und die versenke ich dann im Fluss. Ideale Wurfgeschosse für zu Hause sind Massagebälle. Bei mittlerer Anspannung bade ich gerne mit Musik und einem schönen Duft. Sport und Bewegung helfen mir auch. Eine Lieblings Übung von mir ist das „Planken“, der Unterarmstütz. Je nachdem, ob ich eher impulsiv oder depressiv drauf bin, male ich auch sehr gerne. Bei geringer Anspannung, was bei mir oft mit Gedankenkreisen beginnt, wende ich Skills an, die mir dabei helfen dort wieder heraus zu kommen. Ich spiele dann sehr gern Klavier, gehe gern Spazieren mit Freunden oder ich löse Kreuzworträtsel.
A: Woher kommt die Anspannung?
F: Das hat ganz viele unterschiedliche Gründe. Bei mir ist das oft so, dass ich mir Gedanken mache über Dinge, die noch nicht passiert sind aber passieren könnten. Zum Beispiel ein anstehendes Gespräch oder eine unbeantwortete Nachricht, zu der ich mir etwas ausdenke. Ich nehme Emotionen viel Stärker wahr, als viele andere Menschen. Für mich ist diese unbeantwortete Nachricht total schlimm, so als ob die Nachricht eine Woche nicht beantwortet werden würde. Bei der Arbeit verfiel ich oft in eine hohe Anspannung, wenn Kritik an mir aufkam. Das gehört zu den typischen Merkmalen meiner Erkrankungen.
A: Wie gehst du mit deinen Diagnosen gegenüber deinem Arbeitgeber um?
F: Nach Möglichkeit erzähle ich das gar nicht. Ich hatte einmal einen Chef, den ich schon länger kannte bei dem ich wirklich reinen Tisch gemacht habe und erzählt hab, was los ist. Bei meinem letzten Arbeitgeber, habe ich sehr schnell gemerkt, dass es dort überhaupt gar kein Verständnis für Menschen mit einer psychischen Erkrankung gibt. Ich habe versucht, es zu verbergen, was mich dann aber wieder unter Druck gesetzt hat. Ich hab die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen mit psychischen erkrankten Menschen nicht umgehen können, weil sie gar nichts über psychische Erkrankungen wissen.
A: Was müsste passieren damit die gesellschaftliche Akzeptanz größer wird?
F: Es müsste mehr Projekte wie eures geben. Das Thema müsste auf allen Kanälen mehr Verbreitung finden. Vor allem finde ich es sehr wichtig, dass Betroffene anderen Betroffenen von ihren Erfahrungen berichten. So merkt man, dass man nicht alleine ist und einen Austausch über die Dinge, die Geholfen haben, kommt in Gang. Dieser Austausch kann die Angst vor der Therapie nehmen und einem Mut machen für die Zukunft.
A: Was ist für dich persönlich der Unterschied zwischen einer ambulanten Therapie gegenüber einer stationären Therapie?
Stationär find ich es einfacher, Psycho-Edukation zu lernen. Im stationären Setting habe ich rund um die Uhr eine/n Ansprechpartner*in, kann eine Psycho-Edukations-Gruppe besuchen, habe nur wenige Einflüsse von außen und kann mich so besser auf die Therapie konzentrieren. Die ambulante Therapie finde ich genauso wichtig, um stabil zu sein oder zu werden und eine(n) Ansprechpartner*in zu haben im Alltag. Die ambulante Therapeutin hilft mir, erst gar nicht in eine Krise zu kommen. Leider gibt es zu wenige niedergelassene Psychotherapeuten*innen und das ist meiner Meinung nach auch ein Punkt, an dem die Politik den Bedarf an Therapeutenplätzen nachbessern müsste. Die Statistik die, da als Bedarfsgrundlage dient, ist von 1994 – also ein Bedarf, der vor fünfundzwanzig Jahren ermittelt wurde! Sehr paradox und absurd.
A: Vielen lieben Dank für das offene Gespräch und die persönlichen Einblicke! Ich freue mich über deine Offenheit und Wünsche dir viel Kraft für deinen Weg.
Fotografien: Anja Plonka