18 Mai Laufend ausgefragt: „My five minutes of heaven“ (Teil 2)
Aus unserer Reihe „Laufend ausgefragt“ kommt hier der zweite Teil des Interviews mit Künstlerin Miriam über ihren Umgang mit der Depression. Falls ihr Teil 1 verpasst habt, den findet ihr hier.
Anja: Wie hast du bemerkt, dass du depressiv bist?
Miriam: Ich war immer schon etwas dunkel unterwegs, seit meine Familie sich mit der Drogensucht meiner Schwester auseinandersetzten musste. Zu Beginn meines Berufslebens mit 24 Jahren gab es mehrere schwere Schicksalsschläge und einschneidende Ereignisse, die kurz aufeinanderfolgten. Erst habe ich das alles noch einige Monate weggepackt. Dann hat sich das Ganze aber in Form von psychosomatischen Beschwerden bahngebrochen. Schmerzen, für die keine organische Ursache gefunden werden konnte. Meine Hausärztin fragte dann, wie es mir eigentlich geht und dann bin ich dort zusammengebrochen und habe zwei Tage durchgeheult. Ab da bin ich dann in psychologische Behandlung gegangen. Die Therapien haben mir auf jeden Fall sehr geholfen. Ich habe gelernt, mich selbst zu reflektieren und in meiner letzten Therapie habe ich sehr viel über meine Trigger gelernt, was mir sehr weitergeholfen hat. Da gibt es noch ein paar Dinge, an denen ich arbeiten werde.
Anja: Du hast erzählt, dass du letztes Jahr in der psychologischen Notaufnahme in einer Klinik in Bochum gesessen hast und wieder gegangen bist. Warum?
Miriam: Ich wollte, dass sich jemand um mich kümmert und mich beschützt vor diesen unfassbaren Wutausbrüchen und diesen krassen Selbstmordgedanken, die ich damals hatte. Es kam aber niemand. Ich saß in diesem Wartezimmer und ich bin reingegangen und einfach wieder rausgegangen nach einer Zeit. Niemand hat gefragt, wie es mir geht oder was ich da will. Mit diesem Eindruck habe ich mich dagegen entschieden. Für mich war offensichtlich, dass die mir nicht helfen können, denn sonst hätte da ja mal jemand gesehen, dass da jemand sitzt der Hilfe braucht. Da habe ich dann entschieden, doch wieder nach Hause zu gehen und auf mich selbst aufzupassen. Das ist auf der einen Seite natürlich super und auf der anderen Seite finde ich das im Rückblick auch schon voll krass, dass mich in diesen dunklen Stunden niemand wahrgenommen hat. Dann kommt natürlich auch wieder der Gedanke: „Naja vielleicht bist du ja auch gar nicht so depressiv wie du denkst und das ist nur fake.“ (Liebe Leserinnen und Leser, an dieser Stelle eine Anmerkung: wenn auch Ihr euch in einer seelischen Krise befindet und Hilfe braucht, dass schaut euch bitte unseren Hinweis an!)
Anja: Ja, das hat sicher auch damit zu tun, dass manche Menschen dann so eine „Iss deinen Teller auf, in Afrika verhungern Kinder“-Logik auffahren. Die Suppenkasper-Logik ist sicher das Letzte, was einem in einer psychischen Krise weiterhilft. Deine Realität ist wahr und deine Gefühle echt, weil du sie wahrnimmst. Oder?
Miriam: Es gibt da im englischsprachigen Raum ein Sprichwort „Your discontent is real“ – „deine Unzufriedenheit ist echt“. Ich weiß, dass das, was ich fühle, echt ist und dass ich mir das auch nicht mehr wegnehmen lasse. Genau deshalb bin ich aus dieser Notaufnahme auch wieder raus – gerade, weil ich mich ernst genommen habe. Was soll ich da, wenn niemand sieht, wie schlecht es mir geht? Dann will ich dort nicht sein. Ich will, dass ich gesehen werde.
Man muss ja auch realistisch mit sich sein. Bleib mal hier stehen und guck. Das ist ja die Welt. Deshalb komm ich auch hierher. Weil das eigentlich die Welt ist. Die Tiere, die Natur. Wir sind nicht die Welt. Wir können uns nicht ernster nehmen als die Realität dieser Ente dort. Das ist eine Wahrheit. Leider werden solche Wahrheiten, die du siehst, auch oft bekämpft. Dann ist derjenige, der die Wahrheit sagt, in der Bredouille. Das ist der Grund, warum ich mich zurückziehe. Nicht, weil ich beleidigt bin, oder weil ich denke ich muss mich schützen. Sondern ich ziehe mich zurück, weil ich meiner Wahrheit glaube, ich aber gelernt habe, dass man die aber nicht immer sagen muss. Das tut mir manchmal sehr weh, weil ich die Wahrheit so liebe. Und weil ich manchmal ja auch gerne hätte, dass jemand zu mir sagt, das ist keine Wahrheit. Es geht nicht darum, Recht zu haben.
Anja: Wie wirkt sich das alles auf die Arbeit mit deinem Performance-Kollektiv aus?
Miriam: Natürlich schlägt sich das alles in unserer Arbeit nieder. Ich mache Kunst aber nicht als Therapie. Wir arbeiten mit, so nennen wir das, der ‚Achtsamkeits-Avantgarde‘. Das heißt, dass wir Mechanismen, die wir durch unsere Lebenswelten, Krankheiten und Dispositionen in einem Achtsamkeitskomplex als Techniken und Methoden erarbeitet haben in der Kunst benutzen wollen. Viel über uns selbst zu reden ist bei uns total anerkannt und nicht verpönt, da man ja immer von sich selbst ausgeht. Jemand, der nicht laufen kann, weiß nicht, wie es ist, laufen zu können. Deshalb betrachten wir dieses „Von-sich-selbst-ausgehen“ nicht als einen narzisstischen Künstler*innen-Moment, sondern als einen sehr wahrhaften Moment. Wahrnehmung heißt, dass man die Wahrheit nimmt und sie erst mal so stehen lässt, ohne sich selbst oder andere zu bewerten. Diese Herangehensweise hat auf jeden Fall etwas mit meiner Geschichte und meiner Krankheit zu tun. Aber die Krankheit als solche findet nicht in der Kunst statt. Sie ist nicht maßgeblich für die Kunst. Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass ich nicht Künstlerin geworden bin, weil ich depressive Verstimmungen habe. Ich glaube, wenn man eine sehr intensive Wahrnehmung hat und sensibel ist, dann besteht die Gefahr, dass man sich eine psychische Erkrankung mitnimmt. Aber nicht jeder Künstler ist psychisch krank oder ist deshalb Künstler geworden.
Anja: Vielen Dank für den schönen Spaziergang und deine Offenheit.
Fotografien: Anja Plonka