23 Aug Laufend ausgefragt: „Kein Vertrauen in nichts mehr haben: Das ist das Schlimmste!“
Im Interview sprach Andreas von SOUL LALA mit Ruby L. aus B., 15 Jahre*, die über ein Jahr lang in einem nordrhein-westfälischen Gymnasium gemobbt, gedemütigt und auch im Internet verfolgt wurde, bis sie sich für einen Schulwechsel und zu einer begleitenden Therapie entschloss. Zum Zeitpunkt des Interviews schaut Ruby auf eine fast dreijährige Therapieerfahrung zurück.
Andreas: Ruby, vielen Dank, dass du bereit bist, über dieses schwierige Thema zu sprechen. Du wurdest an der Schule gemobbt und fertig gemacht, wie du mir im Vorfeld erzählt hast. Das ging fast zwei Jahre lang. Mit Schikanen, ausgelacht und nicht ernst genommen werden. Kannst du erzählen, wie es war, als du merktest, dass es dir immer seltener gut ging?
Ruby: Ich kann mich daran nicht gut erinnern. Und mag es auch nicht mehr. Das war eine schreckliche Zeit und ich bin froh, dass sie vorbei ist. Ein Schulwechsel hat mich da raus geholt. Aber vor kurzem wiederholte sich plötzlich, dass meine Stimmung schlimm absackte. Vielleicht als Folge von früher? Ich weiß es nicht. Es war komisch, ich dachte, ich hätte das hinter mir. Denn ich hab mich ja auch als Person geändert. Denk ich zumindest. Es gab zwar weiter Krisen, aber ich dachte echt, ich hätte das überwunden. Doch plötzlich kam das wieder über mich, ohne dass ich eigentlich wusste, was das Problem ist… das geht dann manchmal von einem Tage auf den anderen und ich habe keine Ahnung warum.
Andreas: Du bist jetzt 15 Jahre alt. Wie lange machst du schon eine Therapie und was für eine ist das überhaupt?
Ruby: Das war eine etwas schwere Geburt: Als damals alles rauskam und meine Eltern mich zu einer Therapeutin geschleppt haben, hab ich erstmal zwei Stunden bei der gemacht. Das funktionierte aber überhaupt nicht. Danach sind wir zu meiner Kinderärztin und haben geredet. Die hat mir dann die Therapeutin vermittelt, bei der ich – mit einer ungefähr achtmonatigen Unterbrechung – seit nun bald drei Jahren bin.
Andreas: Warum gab es denn diese Unterbrechung?
Ruby: Ich hatte nach eineinhalb Jahren das Gefühl, dass es nun reicht. Ich hatte das Gefühl, ich bin damit durch, auch was die Themen betraf, die mich überhaupt erst zu der Therapie gebracht haben. Das war eine tiefenpsychologische Gesprächstherapie. Nach dem Abbruch und einer Unterbrechung von acht Monaten hatte ich dann aber doch wieder den Wunsch, weiterzumachen. Freunde und meine Kinderärztin haben mich dann davon überzeugt, das dann auch zu tun. Heute gehe ich wieder alle zwei Wochen zur Therapiestunde.
Andreas: Wie lange glaubst du, hast du gezögert, bis du in Erwägung gezogen hast, nach einem professionellen Gesprächsangebot zu fragen?
Ruby: Lange. Ich habe ja auch erst mal gar nicht gewusst, dass mir so eine Therapie vielleicht helfen könnte. Als es mir – wegen Mobbing in der Schule, auch Cyber-Mobbing – über die Jahre immer schlechter ging, bin ich immer stiller und verschwiegener geworden. Ich wollte nicht, dass einer merkt, dass es mir nicht gut geht. Ich hätte auch nie eine Therapie von mir aus gemacht. Ich war ja erst 12. Da weiß man doch gar nicht, was das ist… Ich wollte das gar nicht. Aber meine Eltern haben mich ab einem gewissen Punkt regelrecht dazu gezwungen. Weil sie selber verzweifelt waren. Wir hatten ja voll den Kontakt zueinander verloren.
Andreas: Woher wusstest du von sogenannten Therapie-Angeboten für Kinder und Jugendliche, wer hat dir zuerst davon erzählt?
Ruby: Ich wusste zwar, dass es das gab, wollte aber nicht dahin… Du denkst ja, das ist doch nicht richtig, wenn du dahin musst, obwohl andere dich quälen. Die müssten ja eigentlich dahin. Ich hab das nicht verstanden, alles erzählen zu müssen. Das tut weh und ich wollte das nicht. Ich dachte, das ist doch dann der Beweis, das mit mir was nicht stimmt. Das war eine riesen Hemmschwelle und ich fand es auch nicht normal, als Kind Therapie machen zu sollen. Aber meine Mutter hat mir dann davon erzählt, dass es das gibt. Die hat mich da regelrecht hingeschleppt, ohne groß Bescheid zu sagen. Dementsprechend gestaltete sich auch die erste Sitzung. Ich war total blockiert, hab alles runtergespielt.
Zu lügen, wurde zu einem ständigen Thema. Später ging es irgendwann besser. Aber das hat echt gedauert. Man gewöhnt sich so leicht daran, nicht zu sagen, was eigentlich los ist. Warum es mir richtig schlecht ging, habe ich also auch in der Therapie lange nicht gesagt, viel um den Brei herum geredet. Meine Therapeutin hat mir dann nahegelegt, aufzuhören, weil sie so nicht weiter arbeiten könne. Ich hab mich dann entschieden, offener zu werden. Es ist aber eigentlich auch bis heute nie so, dass ich über das rede, was mich wirklich tief beschäftigt…
Andreas: Nimmst du eigentlich Medikamente oder hast mal welche genommen? Und hast du eigentlich bereits eine Diagnose gestellt bekommen?
Ruby: Ich habe noch nie Medikamente genommen. Meine Therapeutin will das nicht, meine Eltern stehen auch nicht da drauf. Ich denke auch, mit Tabletten lässt sich das nicht lösen. Ich will das aus eigener Kraft schaffen. Diagnosen habe ich auch keine. Meine Therapeutin sagt, sie will mich nicht in so eine frühe Stigmatisierung hinein bringen. Das finde ich gut.
Andreas: Hast du damals eigentlich geglaubt, dass es nur dir so ergeht oder war dir bereits klar, dass deine Erfahrungen möglicherweise von unzähligen Kindern und Jugendlichen geteilt werden?
Ruby: Unbewusst weiß man das zwar. Dass es auch anderen Scheiße geht. Aber das nutzt ja nix. Und ist ja auch kein Trost. Man ist wie gefangen… irgendwas zu wissen nutzt da gar nix.
Andreas: Würdest du zum jetzigen Zeitpunkt deiner Therapie-Erfahrungen sagen, dass es dich weitergebracht, also dir geholfen hat, dich zu öffnen?
Ruby: Ganz ehrlich, eine lange Zeit hat es mich nicht weiter gebracht. Ich weiß auch noch nicht, wie es jetzt eigentlich ist: Ob es an mir selber liegt, wenn es mit besser geht, oder ob es an der Therapie liegt. Da ich ja bis heute Schwierigkeiten hab, ganz aufzumachen und nicht über die ganz privaten Themen rede, kann es eigentlich nicht an der Therapie allein gelegen haben. Aber generell nicht offen zu anderen Menschen zu sein ist nicht schön und da ist es besser, dass ein bisschen über eine Therapie zu regeln. Vielleicht habe ich durch meine Therapie das deswegen Gleichaltrigen ein bisschen voraus, mehr über Dinge reden zu können, die man sonst nie einem sagt.
Andreas: Was kritisierst du an der von dir gemachten Erfahrung mit deiner Therapeutin?
Ruby: Manchmal wünschte ich mir schon, dass sie länger nachhaken oder bohren würde. Weil ich es eben selbst so schlecht kann: von mir aus zu reden. Manchmal fragt sie über ein Thema ewig lange nach, dass ich überhaupt nicht als eines meiner wichtigen Themen erachte. Damit geht dann natürlich viel Zeit verloren. Unterbrechen und sagen, hey, jetzt reicht es, lass uns über was viel Wichtigeres reden, kann ich aber auch nicht… Genau das sollte man aber irgendwie hinkriegen. Generell halte ich es für ein Problem, dass ich eigentlich auch in der Therapie weiter über mich lügen kann und keiner merkt es. Eigentlich ein Widerspruch, denn ich will ja manchmal reden, verfalle aber immer wieder ins Ausweichen. Das bringts ja eigentlich gar nicht.
Andreas: Möchtest du zum Schluss etwas sagen, was anderen Jugendlichen, die aus verschiedensten Gründen verzweifelt sind und nicht mehr weiter wissen, Mut macht, den Schritt zu gehen, den du gegangen bist und nicht aufzugeben?
Ruby: Auf jeden Fall. Sich an eine Person des Vertrauens zu wenden, würde ich aus heutiger Sicht empfehlen. Es reicht ja manchmal ein guter Freund oder eine gute Freundin. Erstmal zumindest. Es ist halt schwer… wenn man so leidet… und auch den eigenen Eltern gegenüber nicht das Vertrauen hat… man richtet sich ein im Verdrängen. Kein Vertrauen in nichts und niemand mehr haben: Das ist das Schlimmste. Da sollte man unbedingt raus wollen.
Andreas: Liebe Ruby, ich danke dir für deine Offenheit und das Gespräch!
*das Gespräch beruht auf einer Wiedergabe eines realen Interviews, das im Juni 2018 stattfand. Der Name der Interviewten und der Anfangsbuchstabe des Wohnortes wurden von der Redaktion geändert. Ihr Alter und die zeitlichen Abläufe sind real.
(Fotos: Andreas Richartz)
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