29 Jun Kämpfen wie eine Löwin
A: Wo sind wir hier?
AW: Wir sind am Rheinufer an meinem Lieblingsplatz. Hier sind weniger Leute und das mag ich hier ganz gerne. Wenn es warm ist, chill ich mich auch gerne mal im Badeanzug hierher.
A: Ich habe dich vor zirka drei Jahren mit einem anderen Namen kennenglernt. Wie kam es dazu, dass du deinen Vor- und Nachnamen geändert hast?
AW: Das war ein langer Prozess der Veränderung. Mir sind immer mehr Erinnerungen und Flashbacks von Situationen vom sexuellen Missbrauch in meiner Kindheit hochgekommen und dazu kamen auch körperliche Symptome. In einem Moment fragte mich eine Freundin, ganz beiläufig, was ich davon halten würde meinen Namen zu ändern. Sie meinte, ich habe ja nichts mehr mit der Herkunftsfamilie zu tun. Solch ein großer Schritt wäre mir nie von selbst eingefallen und erst mal verschwand diese Idee wieder. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Flashbacks und Erinnerungen und dann reichte es mir. Ich erinnere mich an solch schlimmen Dinge, dass ich mich davon deutlich entfernen wollte und die Idee der Namensänderung wieder in den Vordergrund geriet. Die bürokratischen Hürden waren erstmal hoch und die Kosten der Namensänderung hielten mich erst noch davon ab. Doch dann startete ich eine Crowdfunding Kampagne um mein Vorhaben realisieren zu können. Ich wollte unbedingt einen neunen Namen. Egal welche Erinnerungen jetzt noch kommen, es reicht und es wird nicht besser werden. Ich wollte mir der Herkunftsfamilie nichts mehr zu tun haben und dazu gehörte, den Namen abzulegen.
A: Wie war der Bürokratische Weg um deinen Namen ändern zu können?
AW: Erst mal, muss man sich echt sicher sein. Dann geht man zum Rathaus und dort meldet man die Namensänderung an. Solch eine Änderung kommt selten vor und dauert ein wenig. Für die Änderung braucht man die Geburtsurkunde, eine fachärztliche Stellungnahme über die Notwenigkeit, den Personalausweis und einen Nachweis über Einkünfte. Dieser Prozess dauert zirka 2 Monate. Dann musste die fachärztliche Stellungnahme nochmal präzisiert werden. Es muss explizit erläutert werden, dass Wohl, Psyche und Gesundheit gefährdet sind. Entsprechend meines Einkommens musste Gebühr für die Änderung bezahlen. Anschließend durfte ich die Urkunde und meinen neuen Personalausweis abholen und seither heiße ich Anya Weiß. Danach beginnt dann das Chaos. Alle Dokumente müssen geändert werden. Klingelschild, Krankenkassen Karte und so weiter.
A: Was hat die Namensänderung mit dir gemacht?
AW: Das macht sehr viel mit einem und ist erst mal ein längerer Prozess. Der erste Impuls war damals eine radikale Ernährungsumstellung, Sport und eine damit einhergehende Gewichtabnahme. Das war schon das erste Loslösen von meiner alten Identität. Auch wenn mein altes ich immer ein Teil von mir sein wird, so hat sich im Prozess hin zu meiner neuen Identität Anya meine Persönlichkeit also auch mein Kleidungsstil verändert. Ich fühle mich ganz anders, weil ich das loslasse wer ich einmal war. Das drückt sich auch in solch einfachen Dingen wie der Kleidung aus. Heute trage ich eine Outfit das hätte mein altes ich nie angezogen. Das ist Anya und ich sehe mich in diesem Rock und ich hab jetzt das Gefühl, dass das ich bin. Meine Persönlichkeit verändert sich und mein Äußeres auch. Ich möchte jetzt zeigen, wer ich bin.
Deshalb habe ich auch angefangen zu bloggen, weil ich mit dem Thema sexueller Missbrauch offen umgehen möchte. Ich möchte, dass Menschen darüber sprechen, weil es leider viel zu oft vorkommt. Viele Leute in meiner Umgebung wussten vorher nicht was mit mir ist. Alle wussten, ah der geht es nicht gut. Nun da ich öffentlich blogge sehen auch entfernte Bekannte in meinem Umfeld was mein Thema ist und womit ich zu kämpfen habe. Diese Entscheidung war ganz bewusst, weil ich gehört und gesehen werden möchte.
A: Wie fühlst du dich mit deinem neuen Namen?
AW: Als meine Klingel und Namensschilder geändert wurden hatte ich einen Moment in dem ich total daran gezweifelt habe, ob ich das Recht dazu habe dies zu tun. Gott sei Dank hat eine Freundin sofort gesagt: „Na klar, nach dem was alles passiert ist, hast du mehr als das Recht dazu.“ Der Name fühlt sich jetzt richtig an und die Entscheidung auch. Mein Nachname ist Weiß und bekommt in seiner Metaphorik immer mehr Bedeutung für mich. Ich identifiziere mich richtig mit diesem. Die Farbe Weis, der Neu Anfang das unbeschrieben Blatt. Das ist ein tolles Gefühl. Die Namensänderung hat vieles in Gang gesetzt. Mit der Namensänderung ist das Thema ja noch lange nicht vorbei und bearbeitet. Es passiert immer noch das Leute meinen alten Namen nennen. Das ist total ok. Alles entwickelt sich erst. Anya ist ja gerade mal 11 Monate alt und wächst gerade noch. Ich habe innerlich wie äußerlich total viel verändert. Das gehört natürlich auch alles mit dazu.
A: Hast du das Gefühl, dass auch du selbst immer Weißer und unbeschriebener wirst. Also, dass sich da etwas lösen kann durch die Namensänderung?
AW: Ich löse mich auf jeden Fall von dem wer ich war aber noch nicht von dem was passiert ist. Es ist aber vielleicht noch zu früh. Ich bin ja gerade erst 11 Monate alt und der Prozess ist gerade erst in Gang gekommen. Ich versuche mir auf jeden Fall weniger Druck zu machen und nicht so streng mit mir zu sein, auch das ist eine Loslösung von meiner Kindheit. Anya kann sich von den Prägungen die mein altes ich durch den sexuellen Missbrauch und die Gewalt erfahren hat, lösen. Ich als Anya will damit anders umgehen.
A: Du setzt dich mit dem Thema sexueller Missbrauch in der Kindheit auseinander. Dieses Thema wird in der Gesellschaft weiterhin Tabuisiert. Wie thematisierst du das auf deinem Blog?
AW: Ich schreibe vor allem über die Folgen des sexuellen Missbrauchs, über meine Gefühle, Hürden in meinem Alltag aber auch poetische Geschichten aus diesem. Die Themen sind Posttraumatische Belastungsstörung, Trauma, Depression. Besonders wichtig ist mir, offen über meine Krampfanfälle zu sprechen. Tatsächlich ist es so, dass selbst Sanitäter meistens Krampfanfälle nicht genau einordnen können. Die meisten gehen erst mal von einem epileptischen Anfall aus. Diese psychogenen Krampfanfälle kommen unerwartet, wenn sich mein Körper an einen Vorfall aus meiner Kindheit erinnert. Mein ganzer Körper verkrampft dann, die Augen verdrehen sich, ich atme nicht mehr richtig und manchmal werde ich blau. Das sieht von außen erst mal lebensbedrohlich aus. Ich bekomme dann meine Bedarf Medikation verabreicht und dann lösen sich die Krämpfe. Mir geht es darum mich mit diesen Krampfanfällen und allem was dazu gehört zu meiner Erkrankung mich nicht mehr zu verstecken. Die Rückmeldungen von anderen Betroffenen zum Blog waren immer sehr dankbar und viele sind froh, dass es jemanden gibt der all diese Dinge ausspricht. Ich freue mich total darüber anderen damit helfen zu können und diesem Thema eine Stimme zu geben. Das gibt dem ganzen einen Sinn. Mich inspirieren auch andere wie sie mit ihren Erfahrungen und Traumata umgehen. Mir ist auch wichtig zu zeigen, dass es unterschiedliche Ausprägungen von PTBS gibt. Nicht jede/r hat Krampfanfälle und nicht alle haben Wutausbrüche. Bei jedem/r ist das ganz individuell. Mir wurde oft in Kliniken gesagt, dass ich nie ein ‚normales‘ Leben haben werde. Die Tiefs werden immer tiefer sein und die Hochphasen immer kürzer sein als bei sogenannten Gesunden. Eine komplexe Posttraumatische Belastungsstörung bleibt ein Leben lang und wird mich immer beschäftigen. Es ist nicht so, dass man bei einer PTBS mal eben eine Therapie macht und dann ist gut, die Therapie ist bei den meisten Betroffenen ein lebenslanger Weg.
A: Wie kommt das Thema bei Menschen an, die nicht selbst Betroffen sind?
AW: Ich habe schon Sprüche gehört wie: ‚Aber das ist doch schon Jahre her‘. Viele verstehen nicht, dass der sexuelle Missbrauch eines Kindes nicht dann vorbei ist wenn die Situation vorbei ist. Eine gute Freundin von mir, meinte auch, dass sie bevor sie meine Geschichte gehört hatte noch nie mit einer Betroffenen direkten Kontakt hatte. Erst als sie real – also durch mich mit diesem Thema konfrontiert wurde hat sie begriffen was dies emotional und ganz real bedeutet. Was sie sonst beiläufig durch die Tagesschau erfahren hatte wurde mit meiner Geschichte plötzlich greifbar. Die Gesellschaft leugnet dieses Thema durch totschweigen und verstecken und kommt damit ihrer Pflicht als Gesellschaft nicht nach. Es ist an der Zeit, über den sexuellen Missbrauch von Jungen und Mädchen zu sprechen – das darf nicht unter den Teppich gekehrt werden und es darf nicht weiter passieren und es muss darüber gesprochen werden! Weil es kein Einzelfall ist sondern ganz oft der Fall ist. A: Danke liebe Anya für deine Offenheit und alles Gute auf deinem weiteren Recovery Weg.