Hinter der perfekten Fassade des Sports | Rezension zur Serie “Spinning out” 

Hinter der perfekten Fassade des Sports | Rezension zur Serie “Spinning out” 

In der 2020 erschienenen Netflix-Serie „Spinning out“ wird hinter die glamouröse Fassade des Eiskunstlaufens geblickt. Dabei wird nicht nur der oft erdrückende Leistungsdruck, sondern auch das Thema „psychische Erkrankung“ und die damit verbundenen, schwierigen Familienverhältnisse in den Vordergrund gerückt. Luzie hat sich die Serie angeschaut und erzählt euch, was sie darüber denkt.

Die Serie spielt in dem kleinen Skigebiet Sun Valley im US-amerikanischen Idaho und handelt von der 21- jährigen Kat Baker, die nach einem traumatischen Unfall auf dem Eis versucht, ihre panischen Ängste zu bekämpfen, um ihre EiskunstlaufKarriere nicht endgültig aufgeben zu müssen.   

Auf den ersten Blick erscheint „Spinning out“ in vielerlei Hinsicht wie eine gewöhnliche ComingofAgeGeschichte. Doch schon die erste Folge zeigt, dass die Serie auch spannende Einblicke hinter die Kulissen eines faszinierenden, aber knallharten Sports und dadurch mehr zu bieten hat, als andere Jugend-Dramen und klischeehafte Romanzen. So verfolgen wir als Zuschauer zwar die romantische Annäherung zwischen Kat und ihrem neuen EiskunstlaufPartner, erhalten darüber hinaus aber tiefe Eindrücke von Kats komplizierter Familiensituation und ihrem Umgang mit einer psychischen Erkrankung.   

Denn Kat und ihre Mutter, Carol, leben beide mit einer bipolaren Störung, die sie  in ihren Freundeskreisen geheim halten. Der Grund für das Verstecken der Krankheit liegt in der befürchteten gesellschaftlichen Ablehnung, die sie besonders auf die Stigmatisierung psychischer Krankheiten innerhalb ihrer Sportgemeinde zurückführen. Denn „Spinning out“ zeigt, dass  Eiskunstlauf nicht nur präzise Technik und hartes Training, sondern meistens auch eine tadellose Selbstdarstellung fordert. So versteckt Kat ihre bipolare Störung und familiären Sorgen hinter einer Maske der Perfektion, um, wie viele andere Eiskunstläuferinnen der Serie auch, den äußeren Schein zu wahren.  

Bei einer bipolaren Störung handelt es sich um eine psychische Krankheit, die durch einen episodischen Wechsel von depressiven Phasen und manischen Episoden gekennzeichnet ist. Eine manische Episode zeichnet sich durch eine ungewöhnlich gehobene Stimmung aus, in der sich die Betroffenen unverhältnismäßig aktiv, energisch, euphorisch oder auch gereizt verhalten. Nach einer manischen Episode folgen Depressionen, unter anderem mit Gefühlen der Antriebs- und Hoffnungslosigkeit, der eigenen Wertlosigkeit und dem Verlust von Interesse und Freude an Aktivitäten. Wie genau sich jedoch die manische oder depressive Phase zeigt und wie lang und intensiv sie jeweils andauern, kann immer zwischen einzelnen Personen stark variieren. 

Diese individuelle Ausprägung der bipolaren Störung wurde von der Serie differenziert dargestellt, indem bei Mutter und Tochter jeweils unterschiedliche Symptome mit variierender Dauer und Intensität ihrer manischen und depressiven Episode gezeigt werden. Ein weiterer Aspekt, dem die Serie bei ihrer Darstellung der bipolaren Störung besondere Aufmerksamkeit widmet, ist die Medikation durch Lithium als klassisches Medikament zur Vorbeugung von manischen Episoden bei bipolaren Störungen. So werden auch häufige Nebenwirkungen von Lithium, wie Müdigkeit und körperliche Schwäche thematisiert, unter denen besonders Kat leidet. 

Ihre Frustration über diese Nebenwirkungen, die sie als Grund ihrer unzureichenden Leistung für eine Platzierung sieht, bewegt Kat schließlich dazu, ihren Erfolg im Eiskunstlauf über die eigene psychische Gesundheit zu stellen, indem sie eigenständig ihre Medikation absetzt. Hier werden somit auch mögliche Konsequenzen gezeigt, die folgen können, wenn die Medikation eigenmächtig eingestellt wird. Denn als Kat ihr Lithium absetzt, verliert sie langsam die Kontrolle über ihre psychische Verfassung und zeigt manisches Verhalten. Diese manische Episode ist bei Kat durch extreme sportliche Aktivität und Fixierung auf ihr Training, sowie durch impulsives und selbstzerstörerisches Verhalten gekennzeichnet. Zuvor nahm Kat ihr Lithium regelmäßig ein und bewegte sich nur in hohen Stress- und Drucksituationen am Rande eines Kontrollverlustes. In diesen besonders intensiven und belastenden Momenten, wie nach einer misslungenen, wichtigen Prüfung auf dem Eis, werden außerdem Kats Selbstverletzungen dargestellt.   

Entgegen der regelmäßigen Lithiumeinnahme von Kat, vergisst ihre Mutter, Carol, des Öfteren die Einnahme des Medikaments, wodurch sie nicht nur in den letzten Jahren drei Jobs verloren hat, sondern auch häufig manische Episoden durchlebt.   

Carols manische Episoden sind vor allem durch eine übermäßigen Kontrolle und Überwachung der sportlichen Leistung ihrer Kinder geprägt, wobei sie auch in das Training und Leben von Kat und ihrer kleinen Schwester Serena eingreift, um ihre hohen Erwartungen erfüllt zu sehen. Dies wird besonders in einer eindrücklichen Szene der ersten Folge dargestellt, als Kat mitten in der Nacht einen Hilfe-Anruf von Serena erhält. Es stellt sich heraus, dass Carol inmitten ihrer manischen Phase ihre jüngere Tochter zu einem unmenschlichen, nächtlichen Training nötigte. Eine spätere Bemerkung Kats deutet darauf hin, dass dies schon öfter vorgefallen war, sodass Serena bereits eine Nacht in der Notaufnahme verbringen musste.  

In dieser, wie auch in vielen anderen Szenen, werden somit auch die Auswirkungen der chaotischen und oft toxischen Familiendynamik auf die kleine Schwester Serena dargestellt. Denn Serena ist nicht nur von den wechselnden Episoden ihrer Schwester und ihrer Mutter betroffen, sondern muss auch viele extreme Auseinandersetzungen zwischen den beiden miterleben und diesen standhalten. Zudem besitzt sie keine außerfamiliäre Bezugsperson, um die psychischen Erkrankungen ihrer Angehörigen zu verarbeiten, da sie von den beiden angehalten wird, die bipolare Störung unbedingt zu verschweigen.  

Leider verliert die Serie durch das Anschneiden vieler unterschiedlicher Thematiken zum Ende der ersten Staffel hin ein wenig ihren roten Faden. Denn neben psychischen Erkrankungen werden auch viele weitere noch oft tabuisierte Themen, wie Rassismus und Homosexualität innerhalb der Serie angesprochen. Viele dieser Problematiken verschwinden jedoch leider schnell wieder in den Hintergrund, sodass die Serie einzelnen Themen nicht gerecht wird. Vielleicht werden hier auch schlicht die Grenzen der filmischen Darstellung menschlicher Probleme sichtbar, für die zehn Episoden einer Serie nicht genügen, um ihrer Komplexität nachzukommen.   

Trotzdem trägt „Spinning out“ dazu bei, die Stigmatisierung psychischer Krankheiten zu bekämpfen und somit Raum für Austausch und Aufklärung zu schaffen. Denn durch die Verknüpfung der Darstellung der bipolaren Störung mit einer spannenden Geschichte, können viele Personen erreicht werden, insbesondere auch solche, die sich eventuell aktiv nicht allzu sehr mit der Thematik auseinandergesetzt hätten. Außerdem erhalten wir in der Serie nicht nur einen Einblick in das Leben der psychisch Erkrankten, sondern auch in das einer Angehörigen, wodurch die Auswirkungen einer psychischen Erkrankung umfassender abgebildet werden.   

Die Schöpferin der Serie, Samantha Stratton, erklärte in einem Interview, dass sie keine Serie über psychische Krankheiten erschaffen wollte, die deprimierend oder ausweglos wirkt, sondern, dass es ihre Intention war, die Schwierigkeit eines Lebens mit psychischer Krankheit in ernster Weise darzustellen, aber eben auch die Möglichkeit eines zufriedenen Lebens als Betroffene(r) aufzuzeigen. Besonders im Fokus der Serie steht somit die Entwicklung von Kat und Carol, wodurch die beiden in komplexer und facettenreicher Weise dargestellt und ihre Handlungen keineswegs glorifiziert werden. Denn „Spinning out“ liefert keine einfachen Lösungen, sondern zeigt, wie Kat und Carol immer wieder Fehler machen und erneut versuchen, aus ihren fehlerhaften Verhaltensweisen zu lernen und an ihnen zu wachsen. Dadurch werden Kat und Carol und ihr Leben mit psychischer Erkrankung auf eine menschliche und authentische Weise dargestellt.  

 


Luzie Trostmann ist Schülerin und hat im Rahmen eines Praktikums im Projekt SOUL LALA mitgearbeitet. Seitdem schreibt sie als freie Mitarbeiterin auf unseren Kanälen, vor allem Rezensionen zu Filmen und Serien sowie zu Social Media. 

Foto von Manfred Richter über Pixabay.