„Wie wird es sich anfühlen, wenn die Normalität langsam wieder einkehrt?“ – Coronareport #5 mit Anna

„Wie wird es sich anfühlen, wenn die Normalität langsam wieder einkehrt?“ – Coronareport #5 mit Anna

Vier krisenerfahrene Menschen im Alter zwischen 25 und 35 erzählen, wie sie den Frühling 2020 und die Einschränkungen rund um Corona erleben. Heute mit Anna, die wir euch vor ein paar Wochen in diesem Beitrag bereits vorgestellt haben.

„Kurz bevor die ganze Corona Sache begann, ging es mir eine Zeit lang nicht so gut. Was mir damals half war viel unterwegs zu sein, Termine, Freund*innen zu treffen, meine Meditationsgruppe, meine Therapie, die Eindrücke Berlins, die Vielfalt um mich herum. Als Corona in den Medien immer präsenter wurde, war ich zunächst unbeeindruckt. Dann kam die Nachricht, dass das Semester später beginnen würde und plötzlich konnte ich das Thema nicht mehr von mir fernhalten.

In meinem Umfeld war von heute auf morgen ein extremes Umschwenken eingetreten. Nahmen wir Corona am Tag zuvor noch locker und scherzten, besprachen wir am nächsten Tag, ob zu verantworten sei, dass wir uns weiterhin treffen. Täglich kamen neue Beschlüsse durch die Politik und ich kam total ins Wanken. Alles, was mir in den letzten Wochen Halt gegeben hatte, fiel schlagartig weg. Selbst meine Mitbewohnerin zog vorrübergehend zu ihrem Freund. Somit wurde ich auf sehr unsanfte Art und Weise auf mich selbst zurückgeworfen. Ich hatte einige Tage große Angst vor einer kompletten Ausgangssperre, vor dem kompletten Entzug meiner Freiheit. Auch nahm ich einen extremen moralischen Druck war: „Wenn du nicht Zuhause bleibst, bringst du andere Menschen um“. Den Hashtag #wirbleibenzuhause empfand ich als sehr unangenehm. Ich war ziemlich verwirrt, fühlte mich wie in einem Strudel. Was konnte ich selbst noch verantworten? Mein moralischer Kompass war durcheinander, ich kannte solch eine Situation nicht. Mir ist sehr wichtig, mich solidarisch zu verhalten, andere Menschen durch mein Handeln nicht zu gefährden. Doch ich wollte auch mich selbst nicht gefährden, musste mich irgendwie auch um mich kümmern. Wie passte das zusammen? Wieso wurde so undifferenziert gefordert Zuhause zu bleiben, obwohl das für so viele Menschen so unterschiedliches bedeutet? Während die einen endlich in Ruhe ihr Haus renovieren, ihrem Hobby nachgehen, sich selbst „optimieren“ konnten, rutschten andere in Krisen oder hatten nicht mal ein Zuhause, in das sie sich zurückziehen konnten.

Als die Kontaktbeschränkung in Kraft trat und nicht mehr jeden Tag neue Einschränkungen verkündet wurden, wurde es langsam auch wieder etwas ruhiger in mir. Nun erschien die Situation wieder kontrollierbarer. Das wichtigste blieb mir erhalten, ich konnte noch so viel Zeit wie ich wollte draußen verbringen, spazieren gehen war weiterhin erlaubt. Und so nahm mein Leben eine große Wende. Ich erschuf mir eine neue Struktur, die hauptsächlich aus spazieren, Musik hören, Sport, kochen und telefonieren bestand. Auch traf ich hin und wieder Freund*innen in Parks und ging meinem Nebenjob in einem Lebensmittelgeschäft nach.

Inzwischen kann ich die Ruhe genießen. Alles plätschert friedlich vor sich hin, mein moralischer Kompass funktioniert wieder. Es tut mir gut, gerade kaum Druck zu verspüren und ich genieße die Langsamkeit. Doch wie geht es danach weiter? Wie wird es sich anfühlen, wenn die Normalität langsam wieder einkehrt? Werde ich hinterher kommen oder wird es mich überfordern? Was ist mit den Menschen, die wirtschaftlich oder emotional größeren Schaden genommen haben als ich? Wer wird sich um sie kümmern?“

 


Wie geht es eurer Seele in der Coronakrise? Wenn ihr eure Erfahrungen mit uns und anderen teilen wollt, dann schreibt uns gerne auf Facebook oder Instagram, am besten aber an info@soullala.de. Auf diesem Weg können wir dafür sorgen, dass eure Anonymität gewahrt wird.

WICHTIG: Wenn es euch nicht gut geht und ihr Hilfe braucht, findet ihr hier eine Sammlung von Kontaktadressen, an die ihr euch wenden könnt.