Community Content #8 – „Studieren auf Schlafentzug“

Community Content #8 – „Studieren auf Schlafentzug“

Weiter geht es mit unserem nächsten Text. Hier erzählt eine Studentin von ihrer Erfahrung mit Schlafproblemen und Ängsten im Studium- und was ihr im Umgang damit geholfen hat.    _________________________________________________________________________________________

 

Begriffe wie Mental Health, Self-Care etc. kursieren im Internet und auch die Uni Bonn bietet Kurse im Bereich des Healthy Campus an. Dabei wird aber das Thema mentale Erkrankungen tatsächlich oftmals noch stigmatisiert. Ich erlebe im Studium, dass offener unter den Studierenden geredet wird- vonseiten der Universität wird es, meiner Meinung nach, aber noch viel zu wenig priorisiert. Dabei sind gerade junge Menschen und Studierende besonders gefährdet, wenn es um psychische Erkrankungen geht.  

Das kann ich auch aus eigener Erfahrung berichten, da sich bei mir die psychischen Probleme im Studium verstärkt haben. Ich bin nach dem Abi und einem anschließenden Auslandsaufenthalt in eine fremde Stadt zum Studieren gezogen. In der Stadt fing es an, dass ich nicht mehr schlafen konnte, was vorher nie ein Problem für mich gewesen war. Ich habe mich teilweise die ganze Nacht herumgewälzt, bin dann morgens extrem gerädert aufgewacht und habe mich zur Uni geschleppt. Der wenige Schlaf hat dann oftmals soziale Ängste und Depressionen verstärkt, die vorher teilweise schon da waren. Es war wie ein Anspannungs-Teufelskreis, aus dem ich nicht herauskonnte. Ich wusste nicht, wie. Ich habe mich alleine gefühlt und überhaupt nicht verstanden, warum ich nicht mehr schlafen konnte.  

In einer Woche hat es sich so zugespitzt, dass ich 4-5 Nächte kaum geschlafen hatte und einen extremen Schlafentzug hatte. Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Ich bin in die nächste Apotheke gegangen, habe mir ein Beruhigungsmittel geben lassen und habe mich dann in den nächsten Zug gesetzt, um 5 Stunden später in meinen Heimatort anzukommen. Zu Hause in meinem vertrauten Bett bin ich dann sofort eingeschlafen und habe ganz viel Schlaf nachgeholt. 

In der Uni hatte ich niemandem davon erzählt. Weder Kommilitonen und Kommilitoninnen noch Dozierenden. Ich wusste nicht wie und ich wollte nicht, dass man mich für “verrückt” hält, obwohl ich heute weiß, dass es viele andere gibt, denen es ähnlich geht. Von da an wusste ich aber, dass es so nicht weiter geht. Ich konnte mich auf mein Studium kaum konzentrieren aufgrund der Schlafstörungen, war immer müde und angespannt. Obwohl mir das Studium von den Inhalten gefiel und ich auch nette Menschen an der Uni kennengelernt hatte, wusste ich, ich muss raus aus dieser Situation. Zu dieser Zeit war ich noch in meinem Heimatort in Therapie, die mir zwar etwas half, aber eben auch nicht genug, um mit dieser Situation umzugehen. Daher fasste ich den Entschluss, zurückzuziehen in Richtung Heimat und dort an der Uni Bonn mein Studium fortzusetzen. Ich bin in mein altes Zimmer gezogen, habe meine Möbel, und somit auch die Zeit in der anderen Stadt verstaut und erst mal verdrängt.  

Den Studienstart an der Uni Bonn fand ich sehr schwierig. So war auch die Erstsemester-Woche für mich eine Zerreißprobe. Ich wollte natürlich gerne neue Leute kennenlernen und auch an allem teilnehmen, fühlte mich aber energielos und ängstlich. Auf keinen Fall wollte ich, dass man mir meine Probleme ansieht. Dass jemand merkte, was bei mir in den letzten Monaten und Jahren los war. Was würde ich sagen, wenn mich jemand fragt, warum ich die Uni gewechselt habe? Ich habe diese Zeit als sehr anstrengend und auch teilweise einsam erlebt. Es gab zwar nette Menschen, die auch offen zu mir waren, es war für mich aber sehr schwierig, mich in größeren Gruppen zurecht zu finden. Ich wollte gerne erklären, was los war, habe mich gleichzeitig aber extrem geschämt und wusste es ja selbst auch nicht genau. Ich habe mich wie ein Alien gefühlt. Trotzdem habe ich eine Freundin in dieser Zeit gefunden, die mein erstes Semester und auch meine Studienzeit sehr viel angenehmer gemacht hat.  

Als Corona kam und klar wurde, das nächste Semester wird online sein, war ich sehr erleichtert. Das bedeutete für mich: Kein in-die-Uni-schleppen, keine extremen sozialen Ängste, kein angespanntes Aushalten in den Seminaren und Präsenz- Referate, sondern einfach nur zu Hause sein. Für mich war das zunächst eine Zeit, in der ich mich regenerieren konnte, wieder etwas zu mir finden konnte. Ich hatte Zeit, zum Yoga zu gehen, Joggen zu gehen, viel draußen im Garten zu sitzen und mich über Ängste und Schlafstörungen zu informieren. Auch die weiteren Online-Semester brachten für mich Erleichterung, obwohl ich wusste, dass es so nicht ewig weitergehen würde.  

Letztes Semester, als die Präsenzveranstaltungen wieder anfingen, war ich erst mal überfordert. Auf der einen Seite war es ganz schön, wieder Menschen zu sehen, auf der anderen Seite war es mir aber auch zu viel. Dieses Semester, in dem die meisten Kurse in Präsenz sind, sehe ich aber auch wieder die Vorteile vom Uni-Leben: Mit anderen zu reden, zusammen im Hofgarten zu sitzen und die Sonne zu genießen. Ich habe immer noch ähnliche Probleme wie zu Anfang meines Studiums, bin noch in Therapie und werde im Sommer für ein paar Wochen in eine Klinik gehen, um dort intensiver an meinen Problemen zu arbeiten.  

Allerdings habe ich bis heute einige Sachen gelernt, die vielleicht doch dem ein oder anderen helfen können. Erstmal: Du bist nie alleine mit deinen psychischen Problemen und wenn man eine Therapie macht, heißt das nicht, dass man verrückt ist oder sich hierfür schämen müsste, sondern einfach, dass man an sich arbeiten möchte und dass man eben Hilfe von außen braucht.  

Gerade in der Gruppentherapie habe ich gemerkt: Es gibt so viele Menschen, die Probleme haben, denen man es ‘nicht ansieht ́, die ‘normal ́ nach außen wirken. Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, den eigenen Zustand und die eigenen Probleme erst mal anzunehmen und Mitgefühl sich selbst gegenüber zu zeigen. Niemand hat sich ausgesucht, psychische Probleme zu haben und man ist auch nicht schuld daran. Trotzdem ist es die eigene Verantwortung sich um sich zu kümmern, seine Probleme anzuschauen und nicht davor wegzulaufen. Ich glaube ein wichtiger Schritt im Heilungsprozess ist dabei, offener mit dem Thema umzugehen.  

Viele Betroffene schämen sich dafür, versuchen es zu verstecken und dieselbe Leistung zu erbringen wie alle anderen auch. Das passiert gerade in der heutigen Leistungsgesellschaft und gerade im universitären Kontext. Man möchte eben funktionieren und die Dinge so schaffen wie alle anderen auch. Man muss ja nicht jedem davon erzählen, aber vielleicht gibt es doch ein oder zwei Menschen, denen man vertraut. 

Das würde ich mir auch im Studium wünschen. Dass das Stigma noch weiter aufgebrochen wird, dass es mehr Angebote und Unterstützung für Studierende gibt. Nicht nur präventiv, sondern auch für Studierende, die eine psychische Erkrankung (bereits) haben. Es ist so wichtig zu wissen, dass man nicht alleine dasteht, dass es Hilfe gibt und dass man das Studium so auch schaffen kann. Dabei wären auch Schulungen und eine Sensibilisierung für die Dozierenden sinnvoll. Zu wissen, dass es Studierende gibt, die mit diesen Problemen zu kämpfen haben. Studierende, die vielleicht Abgaben verpassen, nicht weil sie zu faul sind, sondern weil sie gerade in einer depressiven Episode stecken- oder weil sie maximal zwei Stunden Schlaf abbekommen (und nicht, weil sie zu lange gefeiert haben).  

Ich fände es zudem extrem hilfreich, sich mit anderen Studierenden mit ähnlichen Problemen in einem geschützten und angeleiteten Rahmen auszutauschen, sich gegenseitig Tipps zu geben, oder Strategien zu erarbeiten, die einem das Studium erleichtern können. Denn eine psychische Erkrankung ist immer noch eine Erkrankung, die ernst genommen werden muss.