13 Jul Community Content #6 – „Mensch sein“ von Svenja
Unser von Nutzer*innen geschriebener Content geht in die nächste Runde. Der heutige Beitrag kommt Svenja, die auf Instagram unter @fuechsin_97 zu finden ist.
Hoffnung, dass es immer weitergeht. Dass ich das schaffe, egal, was andere sagen. Dass ich ein unglaubliches Netzwerk an Freund*innen und Familie habe, die all ihre Kraft aufwenden, damit es mir bessergeht. Ich bin mehr als meine Ängste, mehr als meine Diagnose. Ich bin ein Mensch.
Mein Anfang: Winterdepression, Abi, Start des Freiwilligendienstes im Ausland. The great depression, welcome! Zu viele Veränderungen innerhalb kurzer Zeit, zu viele neue Gesichter, zu viele neue Bäume. Abbrechen? Keine Chance. Ich lasse mir doch keine Lebenserfahrungen von meiner Diagnose versauen, also wirklich. Im Ausland dann brav zur Therapeutin gegangen, auf Englisch irgendwie versucht, mein Gefühlsknäuel zu erklären. Zurück in Deutschland umgezogen, Start ins Studium, nochmal brav zur Therapeutin, „Therapie nicht nötig, gehen Sie zu einer unabhängigen Beratungsstelle!“, also am Studienort genau das gemacht. Hat ein Stück weit geholfen, aber tief in mir wusste ich, dass eine Therapie irgendwann dringend nötig sein wird. Well, herzlich willkommen in meiner jetzigen Lebenssituation: Fertig mit dem Studium, erster Full-Time-Job, eigene Wohnung, erstes Auto… gekämpft, immer weitergemacht und dann doch realisiert, dass eine Pause mal dringend nötig ist. Wie diese Pause aussieht? Ab zu Mama und Papa aufs Land, weinend auf der Couch versucht in den Schlaf zu finden, tagsüber innere Kämpfe, einen Joghurt runter zu bekommen, Schuldgefühle, Scham, „Schande *gong*“, durchatmen, Gespräche, Freund*innen treffen, ein bisschen essen, ein bisschen weinen…
Und langsam wieder ankommen. Klar denken. Atmen. Und Atmen. Spazieren gehen. Sonne. Waldluft. Lachen. Familie. Liebende Menschen. Unterstützung. Mensch sein.
Versteht mich nicht falsch. Es ist nicht einfach, es ist ein ständiges Auf und Ab der Gefühle. Manchmal ist das Aufstehen schon ein Kampf, manchmal weine ich schon wieder, weil ein negativer Gedanke seine Samen in meinem Kopf gestreut hat und wie ekeliges Unkraut wuchert. Es dauert auch bei mir immer noch etwas, bis ich eine andere Perspektive einnehmen kann, mich und meine Gefühle akzeptieren kann und mir vor allem selber den Druck nehme, ständig funktionieren zu müssen. Auch ich habe nach wie vor noch große Angst, was im Laufe der Therapie an die Oberfläche getragen wird, mit welchen Themen ich mich langfristig noch auseinandersetzen muss und wann diese Gefühle erträglicher werden. Auch ich befinde mich manchmal immer noch in Situationen, die ich schon tausend Mal erlebt habe und die ich in Gedanken tausend Mal schon durchgegangen bin, die mich dann aber wieder aus der Bahn schmeißen. Aber ich weiß mittlerweile, dass dies zum Prozess dazugehört und ich irgendwann lernen werden, mit meinen Ängsten und Gedanken umzugehen. Irgendwann werde ich nicht mehr so oft aus der Bahn geschmissen. Irgendwann werde ich wieder traurig sein können, ohne, dass mir der Boden unter den Füßen wegbricht. Weil ich dann entscheide, wann der Boden ausgehoben werden muss. Niemand kann das nachvollziehen, der diesen Weg nicht schon gegangen ist.
Keine Ahnung, wie lange meine Pause jetzt dauern wird – ich weiß noch nicht, wie lange ich sie brauchen werde. Und das ist in Ordnung so, weil nichts Schlimmes passieren wird. Die Wohnung in der Großstadt bleibt dann halt erst mal leer, tut mir leid, liebe Pflanzen, ich muss mich gerade um mich selber kümmern.
Und ich habe absolut keine Ahnung, wohin die Reise geht, wann ich mich wieder bereit zum Arbeiten fühle oder wie der Weg in der Therapie aussehen wird. Aber ich weiß, dass es weitergehen wird. Und dass es immer eine Möglichkeit gibt. Auch wenn man erst mal nur essen und atmen muss, um durchzuhalten.
Ich fühle mich gerade wie ein Luftpartikel, das bald im Auge des Sturms ankommt. Ich bin herumgewirbelt worden, mal war es schneller, mal langsamer, aber die Bewegung war immer da. Jetzt ist es an der Zeit, sich nicht nur herumwirbeln zu lassen, sondern den Flug zu genießen. Schauen, wohin der Wind mich so treibt. Und wenn der Sturm nachgelassen hat, kann ich wieder Wurzeln ausbilden, mich erden, mit voller Kraft wachsen und Blüten sprießen lassen. Darauf freue ich mich. Denn die Gewissheit ist mittlerweile da. Egal, was da noch kommt, egal, mit was ich mich noch auseinandersetzen muss: Ich habe die Kraft und den Wunsch, fliegen zu lernen und die Aussicht zu genießen. Und ich wünsche dir, dass du irgendwann auch lernst, Stürme anzunehmen und zu wissen, dass sie vorübergehen werden.
Vertrauen. Liebe. Mensch sein. Denn auch du bist ein Mensch, genau wie ich.