26 Jul Community Content #7 – „Studieren mit Depressionen“ von Mascha
Unser aktueller, sehr persönlicher Community Content kommt von der 22-jährigen Studentin Mascha. Auf Instagram ist sie unter @mascha_021 unterwegs.
Seit meinem 14. Lebensjahr leide ich an Depressionen. Die Erkenntnis kam früh – ganz besonders in der Mittelstufe macht es sich schnell bemerkbar, wenn jemand nicht so ist wie die anderen. Ich war nicht so offen, nicht so neugierig, hatte große Angst davor, Fehler zu machen. Gab es Probleme, zog ich mich zurück. Ich verbrachte den Großteil des Tages im Bett, weinte, oder starrte einfach nur die Wand an. Freunde hatte ich kaum. Da meine Mutter bereits unter der Krankheit litt, wusste ich diese Symptome zuzuordnen: ich habe ebenfalls Depressionen.
In meiner Schulzeit unternahm ich nichts dagegen. Hilfe ersuchen war für mich ein Zeichen von Schwäche. Zudem hielt ich meine Depressionen damals nicht für eine Beeinträchtigung. Die depressiven Episoden traten selten auf und gingen schnell wieder vorüber. Zwar wurde ich zwischenzeitlich vom Gymnasium auf die Realschule heruntergestuft, fand jedoch trotzdem meinen Weg ins Abitur. Dort ließen die Probleme nicht lange auf sich warten: eine sehr lange depressive Phase voller Selbstzweifel und Überforderung führte dazu, dass ich ein Jahr wiederholen musste. Mit der Wiederholung ging es schließlich bergauf. Ich war gut, ambitioniert und schloss mein Abi zufrieden ab. Ich dachte nun, wenn ich nur ehrgeizig genug sei, so könne ich alles schaffen. Ganze zwei Jahre hatte ich hinter mich gebracht, ohne in Depressionen zu verfallen. „Endlich habe ich alles im Griff“, glaubte ich. Dann kam Corona.
Im Oktober 2020 nahm ich mein Studium auf. Eine einzige Bewerbung hatte ich zuvor für meinen Traumstudiengang verschickt. Ich bekam den Studienplatz. Ich hatte noch meinen Enthusiasmus vom Abitur inne und so startete ich ins erste Semester. Da das Studium coronabedingt ausschließlich digital stattfand, blieb ich bei meinen Eltern wohnen. Ich dachte, das sei am sinnvollsten. Also verbrachte ich über 12 Stunden täglich am Schreibtisch. Allein. In meinem Zimmer. In meinem Elternhaus. In kürzester Zeit wurden mir zwei Dinge bewusst: Die Inhalte des Studiums fallen mir schwerer als ich angenommen habe und meine Kommiliton*innen schienen darin besser zu sein als ich. Ich wollte das Lernlevel unbedingt halten.
Da der harte Lockdown Ende 2020 ohnehin jedwede Möglichkeiten zur Ablenkung ausschloss, verbrachte ich jede freie Minute, am Schreibtisch. Ein Lerneffekt war nicht zu verzeichnen. Im Gegenteil: in manchen Modulen kam ich überhaupt nicht mehr mit. „Was mache ich denn falsch?“, fragte ich mich ständig. „Du ackerst doch so viel, warum tut sich nichts?“, „Die anderen kapieren es doch auch, warum du nicht?“, „Du bist nicht gut genug!“, „Du versagst!“ – solche Sätze schossen mir immer häufiger durch den Kopf. Überfordert vom Stoff und beladen mit Selbstzweifeln meldete ich schließlich zwei notwendige Klausuren ab. Damit stand fest, dass ich einige nachgeschaltete Module nicht belegen und mein Studium nicht in Regelstudienzeit abschließen kann. Es fühlte sich an wie Aufgeben. Für meine Depressionen war dies nur die Bestätigung: du hast versagt! Das ist im Übrigen das Paradoxon meiner Depressionen: sie hindern mich daran, eine Leistung zu erbringen und dass ich die Leistung nicht erbringen kann, deprimiert mich dann noch mehr. Quasi Depressionen hoch zwei.
Mein zweites Semester lief mehr schlecht als recht. Aktuelle Module inklusive Gruppenarbeiten, Abgaben plus zwei ausstehende Klausuren aus dem ersten Semester hingen mir im Nacken. Ich bekam häufiger Panikattacken und hatte Probleme mit meiner Mutter, die sich immer weiter zuspitzten. Meine Mutter und ich haben eine toxische Beziehung. Wir kommen zwar miteinander klar und ich liebe meine Mutter, aber wir tun uns auf Dauer nicht gut. Ein erheblicher Teil meiner Depressionen hängt mit ihr zusammen, wie ich später feststellen sollte. Daher verschlimmerten sich meine Depressionen über die Corona- und Online-Studienzeit: ich war dem Kern meiner Depressionen ständig ausgesetzt. Daher meine Selbstzweifel. Daher meine Ängste. Daher meine Panikattacken. All das verstand ich erst Monate später.
Der Sommer war darüber hinaus geprägt von einer Trennung. Eine langwierige On-Off-Beziehung fand ihr jähes Ende und riss mich in ein Loch von einer Tiefe, wie ich sie noch nicht kannte. Ich war noch nie sonderlich gut darin, Trennungen zu bewältigen, aber diese zu verarbeiten schien mir mit dem ganzen drumherum unmöglich. Ich versuchte sie wenigstens zu überarbeiten: kniete mich mit aller Kraft, die ich noch aufbringen konnte in mein Studium. Erfolglos. Wieder musste ich Klausuren abmelden. Nächster Anlauf. Oktober 2021. Vier Module aktiv belegt plus zwei Klausuren aus dem ersten und eine aus dem zweiten Semester. Mir steckte ein Jahr voller Privater Probleme in den Knochen. „Jetzt muss doch langsam mal wieder alles gut werden“, dachte ich. Falsch gedacht. Drei Wochen. Drei Wochen vom dritten Semester hielt ich diesem enormen Druck noch stand. Anfang November 2021: Burn-out.
Ich war fertig. Ich konnte nicht mehr, wollte nicht mehr. Ich habe mir nur noch gewünscht, dass einfach alles vorbei ist. Wollte keine sinnlose Energie mehr aufbringen müssen, wenn ich doch sowieso nicht weiterkomme. Ich hatte es satt, das alles fühlen zu müssen: diese Selbstzweifel, das stetige Versagen, den Druck von allen Seiten, die Überforderung. Ich pausierte mein Studium und ging für zwei Monate in eine psychosomatische Klinik. Das war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe: mittlerweile geht es mir so gut wie nie zuvor. Ich habe viel über mich gelernt: ich verstehe jetzt meine Depression, die Gefühle dahinter und kann diese akzeptieren. Mir ist nun bewusst, dass ich meine Grenzen habe und weiß diese einzufordern.
Mit vielen neuen Erkenntnissen habe ich mir meinen Weg zurück ins Studium gebahnt und komme bisher gut zurecht. Das Zentrum für chronisch kranke und behinderte Studierende an meiner Hochschule unterstützte mich bei meinem Wiedereinstieg recht gut. Mit den Mitarbeitern dort befinde ich mich seit meinem zweiten Semester im Dialog. Als ich krankheitsbedingt meine Prüfungsleistungen nicht erbringen konnte, dachte ich, ich könne eventuell einen Nachteilsausgleich erwirken. Depressionen sind nun mal ein Nachteil. Also meldete ich es der Hochschule. Was soll ich sagen? Auch wenn mir diese Menschen seit jeher mit Rat und Tat zur Seite stehen, mehr als Beratung hat man bezüglich meines Themas nicht im Petto.
Für körperlich Behinderte ist die Produktpalette an Nachteilsausgleichen riesig! Bedarfsgerechte Literaturumsetzung für Sehbehinderte, Leistungsnachweise mit weiteren Hilfsmitteln, ergänzende Lehrveranstaltungen, bei Knochenbrüchen gibt es mehr Zeit für die Klausur und vieles mehr. Als wir meinen Antrag vorbereiten wollten, erklärte ich den Leuten meine Problematik und deren negativen Einfluss auf mein Studium: kann mich schlecht konzentrieren, kann meine Leistungen oft nicht fristgerecht erbringen, habe Probleme beim Lernen usw. Daraufhin bekam ich als Antwort: „Und was können wir da für Sie tun?“. Übersetzt: „Von Depressionen haben wir keine Ahnung!“.
Das „Keine Ahnung von Depressionen haben“ ist sehr weit verbreitet in der Gesellschaft und hat einen ziemlich simplen Grund: es wird zu wenig darüber gesprochen und gelehrt. In der Schule wird über alles aufgeklärt: HIV, Krebs, Alzheimer, Chorea Huntington (das ist Erbkrankheit, die bestimmte Hirnbereiche zerstört – hatten wir im Abi). Über alles, das nur den Körper betrifft, wird allgemeines Wissen vermittelt, nur nicht darüber, was die Psyche betrifft. Wäre meine Mutter nicht an Depressionen erkrankt, wüsste ich bestimmt bis heute nicht, dass es das gibt! Niemand bekommt erklärt, was es für psychische Krankheiten gibt, wie sich diese kennzeichnen, wie sie entstehen und was man dagegen tun kann. Wir haben mittlerweile so viel Wissen über die menschliche Psyche; davon wird aber zu wenig bewusst übermittelt. Daraus resultieren allem voran Vorurteile und Klischees über die einzelnen Krankheitsbilder. Zwei Dinge, die sich einfach verhindern ließen, würde man alle Menschen gleichermaßen und frühzeitig für diese Themen sensibilisieren.
Aus der Tatsache, dass zu wenig darüber aufgeklärt wird ergibt sich noch ein weiterer Sachverhalt: Arbeitgeber bzw. (Hoch-)schulen sind nicht in der Lage, ordentlich zu agieren, wenn ein Mitarbeiter bzw. ein Student/Schüler von einer solchen Krankheit betroffen ist. Sie wissen kaum etwas darüber, weil es ihnen schlichtweg nicht beigebracht wurde. Dementsprechend wissen sie nicht, was dieser Mensch braucht geschweige denn wie man ihm/ihr das Arbeitsumfeld leichter gestalten könnte. Seiner Einschränkung und Leistungsfähigkeit entsprechend. Dabei liegt es doch gerade bei solchen Instanzen, dafür zu sorgen, dass jeder Mensch als Individuum seiner Tätigkeit, seinem Studium nachgehen kann, ohne klischeebeladen und benachteiligt zu sein. Wir leben in einer Welt, in der von allen Seiten auf Individualität plädiert wird – eine Individualität, die aber keinen Platz für psychische Probleme hat.