10 Okt Community Content #13 – Patriarchat, Resilienz
In Lenas Text geht es um psychische Belastungen, die Frauen bzw. weiblich gelesenen Personen auferlegt sind- und wie diese ausgehalten werden.
Trigger-Warnung: Selbstverletzendes Verhalten, PTBS, sexualisierte Gewalt
____________________________________________________________________________________
Frauen und weiblich gelesene Personen tragen eine Garantie für Schmerz in sich.
Dieser Text ist für die Frauen* in meinem Leben, die den Schmerz von Innen, den Schmerz von Außen nahmen, daran versteinerten oder weicher wurden, Nacht für Nacht daran zerbrechen und am Tage aufstehen und der Welt mit ihrer Wärme und Kälte begegnen, die Last tragen mit einer unsagbaren Resilienz. Für die, die wütend und hart geworden sind, für diejenigen, die in sich immernoch so viel Liebe und Mitgefühl tragen; für alle, die Erleben, was andere nicht sehen.
Wir alle wachsen in einer patriarchaischen Gesellschaft auf. Bei der Geburt wird entschieden, in welche Kategorie von Mensch wir gesteckt werden, die nächsten Jahre unseres Lebens werden an diesem Punkt zu einem gewissen Grad vorprogrammiert, unsere Erziehung, die Art und Weise, auf die unsere Außenwelt mit uns interagiert.
Ich habe schon als Kind besonders empfindlich auf alles reagiert, was von Außen auf mich eingeprasselt ist, war immer besorgt darum, dass es allen um mich herum gut geht. Eigenschaften wie Fürsorglichkeit, emotionale Intelligenz oder Selbstlosigkeit werden bei Mädchen gerne gesehen. Sie erhöhen die Chance, dass aus mir später eine gute Mutter und Ehepartnerin wird, die die Bedürfnisse Anderer über die eigenen stellt, die Grobheit und wohlmöglich wesentlich geringere Fürsorglichkeit männlicher Familienmitglieder kompensiert. Mädchen, Frauen sollen einstecken, schweigen, es mit sich selbst ausmachen, es nicht an anderen rauslassen – Männer rational handeln, den Weg wählen, der die größte Erfolgsaussicht verspricht, wenig Rücksicht auf Verluste.
Es fängt an mit einem sehr kontrollierenden Vater mit einem starken Drang zum Perfektionismus, mit Tendenzen zur emotionalen Kälte und Boshaftigkeit, die vor allem in seinen depressiven Phasen zum Vorschein kamen. Niemand hat ihm beigebracht, mit seinen Gefühlen, mit denen anderer Menschen, umzugehen. Auch sein erwachsenes Selbst hat diese Verantwortung nie vollständig begriffen. Hauptsache, er funktioniert.
Tief in mir liegt seit langer Zeit die Überzeugung, dass ich niemals gut genug bin. Anderen Menschen nicht zur Last fallen, mich selbst aufopfern, keine Grenzen setzen die mich vor der Ausbeutung durch andere Menschen schützen könnten – Für mich erschien diese Strategie mich am ehesten zu einem liebenswerten Menschen zu machen, in ihr offenbarte sich mein einziger Nutzen. Dieses Narrativ wird von der Außenwelt nicht nur zugelassen, sie verstärkt es mit freudiger Genugtuung, denn Unsicherheit bedeutet Profit, Möglichkeiten zur Etablierung asymmetrischer Machtverhältnisse – Sie saugt dich aus bis zum letzten Blutstropfen.
Ich habe in den letzten Jahren so viel zugelassen – Lebte für Monate unter einer Glasglocke, mit einem Gefühl von Einsamkeit, das mich von innen auffraß, weil die Menschen um mich herum ausnutzten, dass ich niemals etwas gegen die Bemerkungen sagte, die mich in meinem Innersten angriffen. Alles an mir war falsch, meine Freunde lachten nicht mehr mit mir, sondern über mich. Ich begann in dieser Zeit, mich selbst zu verletzen, es wurde zu einem täglichen Ritual, um der überwältigenden Leere, Wut und Verzweiflung entgegenzuwirken.
Selbstverletzendes Verhalten macht süchtig – Nach einiger Zeit passiert es fast schon automatisch, es ist nicht mehr bloß emotionales Ventil, sondern fester Bestandteil eines jeden Tages.
Jahre vergehen, Beziehungskonstellationen, Gruppendynamiken verändern sich zum Besseren, was bleibt ist der zwanghafte Druck, so perfekt wie möglich zu sein. Alles dafür geben, um geliebt zu werden, um das Verlassenwerden zu vermeiden. Das selbstverletzende Verhalten hat mich nie verlassen, äußerte sich irgendwann auch durch Hungern, exzessives Sport machen, Essanfälle, Erbrechen – Ein aussichtsloses Streben nach Kontrolle, nach etwas, das die Leere füllt. Der krankhafte Trugschluss, dass mein Wert von dem Platz abhänge, den in auf dieser Welt einnehme. Tief in mir der Wunsch, dass jemand anderes die Kontrolle übernimmt.
Ohne Grenzen ist man anfällig für Bindungen an Menschen, die sich dieser Schwäche bewusst sind, sie Ausnutzen, dich intentional oder unintentional verletzen.
Dieses Jahr im Februar wurde ich mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert. In unserer Gesellschaft herrschen noch immer gefährliche Narrative in der Diskussion um sexualisierte Gewalt vor, übergriffiges Verhalten wird in vielen Kreisen weder als das, was es ist, erkannt, noch kritisiert oder bestraft. Ein zu großer Prozentsatz aller Männer versteht das Prinzip des Konsens nicht, Täter werden gedeckt, Opfer werden verurteilt, es wird ihnen nicht geglaubt oder sie werden an den Pranger der Schuldigen gestellt.
Seit Monaten überkommen mich Panikattacken, tief im inneren irgendwo das Gefühl, dass ich immernoch in Gefahr bin.
heart racing i’m lamenting for
the inner calmness that is also
taking away all possible actions
sore and wounded you left me
mourning for my self-respect
eyes wide open lungs heavy
chest collapsing under the pressure
of what might have been and what has been i want to kill you and the landscape
in my head where you are still wandering like an inexorable prisoner
crawling into every corner of my limbs like a maggot eating away my fierceness shivering
i am shivering, mistaking bruises for love
and love for a predator
that will relentlessly join the maggots in my limbs
Ein Teil in mir glaubt mir selbst nicht, denkt, dass ich mir alles einbilde, übertreibe, ein bösartiger, nach Aufmerksamkeit trachtender Mensch bin. Dass ich Panikattacken erzwinge, um die Menschen um mich herum zu manipulieren.
Viel zu viele Frauen, mit denen ich in den letzten Jahren in Kontakt getreten bin, leben selbst mit diesen Gedanken. Leben in Angst, mit Panikattacken, in ausbeuterischen Beziehungen, mit viel zu viel unbezahlter Arbeit und viel zu wenig Anerkennung im Gegenzug, mit Schuldgefühlen wo keine sein sollten. Ich könnte diese Liste so viel weiter führen.
In meiner letzten Therapiesitzung ging es um neue, beängstigende Symptome, die kürzlich bei mir aufgetreten sind – Paranoide Gedanken, Halluzinationen, wahnhafte Vorstellungen. Meine Therapeutin stellte mir die Frage, wie ich mit den beängstigenden Situationen umgegangen sei, wie ich es ohne Hilfe geschafft habe, die Krise zu überstehen.
Meine Antwort war, dass ich es einfach ausgehalten habe, gewartet habe, bis es vorbei ist. Auf die selbe Art und Weise, wie ich seit Jahren im Großteil aller Fälle versuche, mit Selbstverletzungsdruck, dem Druck eine Zwangshandlung durchzuführen, dem Druck einen Essanfall zuzulassen oder mein Essen zu erbrechen, umzugehen.
Und an dieser Stelle will ich betonen, dass dieser Gedankengang, dieser Ansatz, sehr gefährlich sein kann, denn ein*e jede*r von uns verdient es, sich Hilfe zu suchen und diese auch zu bekommen, sei es von professionell geschultem Personal oder von Personen im eigenen sozialen Umfeld. Es gibt Situationen, die man alleine nicht bewältigen kann oder sollte, wirken sie für die Außenwelt auch noch so nichtig.
Was ich aber auch rückblickend erkannt habe ist, dass ich in den letzten Jahren des Aushaltens eine immer größer werdende Resilienz aufgebaut habe, die es mir erlaubt hat, 100% der schier unaushaltbaren Momente zu überstehen. Ich habe es genauso wenig wie alle anderen Betroffenen verdient, sie auf diese Art und Weise erlangt zu haben, aber sie ist da und je älter ich werde, desto deutlicher erkenne ich, dass neben ihr auch die Gewissheit, dass ich ohne jegliche Bedingung Gutes verdiene, heranwächst. Ich hoffe, sie wächst auch in dir.
*Ich verwende in meinem Text vereinfacht den Begriff „Frauen“, möchte aber an dieser Stelle klarstellen, dass ich mich hierbei auf alle Menschen beziehe, die in unserer Gesellschaft sexistische Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen machen. Dazu gehören auch weiblich gelesene Personen, die sich nicht mit der Kategorie „Frau“ identifizieren.