Community Content #12 – „Nicht in Therapie“

Community Content #12 – „Nicht in Therapie“

Diesmal geht es um die Therapiesuche. Die Autorin schreibt über das gedankliche Chaos bis zur Therapie und darüber, warum es so schwierig sein kann, sich helfen zu lassen.

_____________________________________________________

Irgendwie fühlt es sich so an, als wäre es schon längst zu spät – auch wenn ich weiß, dass es in Wirklichkeit nicht so ist. Als ich damals dringend in Therapie hätte gehen sollen, waren die Umstände einfach nicht passend oder zumindest rede ich mir das bis heute ein. Ich war mir meiner kritischen Lage zwar bewusst, aber schlussendlich sagte ich mir, dass ich mir meine Probleme nur einbilde oder sie für Aufmerksamkeit vorspielen würde – und ohnehin ginge es den anderen doch so viel schlechter. Immer geht es den anderen schlechter. Zu glauben, dass es mir selbst wirklich „schlecht genug“ ginge, um in Therapie zu gehen, wäre geradezu egozentrisch und arrogant. Überhaupt würde ich nie jemanden mit meinen Problemen belasten wollen. In Therapie zu gehen hätte bedeutet, dass ich mir meine Probleme eingestehen müsste und sie nicht länger kleinreden könnte. Es hätte bedeutet, mich meiner Familie und meinen Freunden öffnen zu müssen und fehlte mir ganz einfach die Kraft.

Mir lag es noch nie, mich anderen anzuvertrauen. Selbst meine engsten Freunde würden es nicht anders behaupten. Hilfe zu akzeptieren ist meiner Meinung nach genauso eine erlernte Fähigkeit wie jede andere und ich gehöre ganz klar nicht zu den Menschen, die besonders gut aufgepasst haben, als es ihnen beigebracht wurde. Dass Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, wo sie doch als so positive Eigenschaften hochgelobt werden, eigentlich auch zum Verhängnis werden können, verstehe ich heute. Selbst als ich dann zwischenzeitlich eingesehen hatte, dass ich mir aus meinem Leid nicht selbst heraus zu helfen wusste, suchte ich nach unzähligen, wenn auch manchmal irrationalen Gründen, keine Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Der Weg hin bis zu einem Therapieplatz würde lang und nicht einfach werden, dem war ich mir bewusst und konnte dementsprechend nicht die nötige Motivation aufbringen, mich um einen zu kümmern. Und überhaupt, was, wenn ich wirklich nicht schwer genug betroffen war, um für eine Behandlung infrage zu kommen? Was, wenn ich mich bei meiner Therapeutin oder meinem Therapeuten nicht gut aufgehoben fühle? Was sollte ich meiner Familie, meinen Lehrer*innen und meinen Freund*innen erzählen? Die Tatsache, dass ich meiner Familie beibringen müsste, dass etwas mit mir nicht stimmte, hinderte mich besonders. Meiner Mutter hätte es womöglich die Stimme verschlagen, bis sie sich dann selbst Vorwürfe machen würde, und das hätte ich niemals so gewollt. Also verschob ich es in Therapie zu gehen bis ich erwachsen und ausgezogen war und versuchte so zumindest einen Teil der Hürden aus dem Weg zu schaffen. Endlich Erwachsensein bedeutete Alkohol und Zigaretten kaufen, aber auch endlich Therapie, ohne dass Mama etwas mitbekommen muss – eigentlich merkwürdig so darüber nachzudenken.

Daran, dass es auf lange Sicht gut für mich sein würde, in Therapie zu gehen oder es zumindest mal zu versuchen, habe ich nie gezweifelt. Ich weiß, dass Therapie etwas Tolles sein kann und mich womöglich in Zukunft für Zeiten von Rückfällen besser wappnen könnte. Nicht immer vom Schlimmsten auszugehen, wäre hier angebracht und daran muss ich weiterhin arbeiten, das weiß ich heute. Was sich mittlerweile aber geändert hat, ist dass es sich nicht mehr so dringlich anfühlt. Ich kann mit Glück sagen, dass ich auch alleine einen weiten Weg nach vorne zurücklegen konnte und sich meine Situation stark verbessert hat. Wovor ich nun am meisten Angst habe, ist der Gedanke, dass ich meine Situation womöglich erst mal wieder schlimmer machen würde, würde ich jetzt in Therapie gehen. Alles, was ich so mühevoll verdrängt und verschlossen habe, müsste ich mir wieder vergegenwärtigen. Es würde bedeuten, mich mit meiner Kindheit auseinanderzusetzen, sie zu rekonstruieren und ordentlich zu verarbeiten und davor habe ich schon immer Angst gehabt: Vor dem Gefühl, wieder bei null anzufangen.