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03 Sep Community Content #11 – „Schwarze Kacheln“
Unser nächster Community Content kommt von der 23- jährigen Pharmazie-Studentin Nadia. Pandemiebedingt hat sich ihr Studium bisher von zuhause abgespielt. Sie erzählt vom Kontrast zwischen Vorstellung und Realität des Uni-Lebens.
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Ich fühle mich manchmal einsam. Wandere vom Bett zum Schreibtisch, in die Küche vorbei am Berg von Aufgaben und Gedanken. Werfe ihnen nur einen kurzen Blick zu.
Habe eigentlich gleich eine Vorlesung. Ich muss auch eigentlich noch essen. Ich wähle mich ein, mein Weg zum „Hörsaal“ ist dieser Tage kurz. Im Pyjama sitze ich wieder auf dem Bett. 93 schwarze Kacheln warten auf den Beginn des Vortrags. Kamera und Mikrofon bleiben aus, genau wie meine Motivation. Ich wünschte wir würden uns wieder sehen. Irgendwann bestimmt.
Eine kleine Kachel wird hell und man erkennt ein Büro. Der Professor fragt, ob man ihn gut verstehen könne. Keine Antwort. Der Chat erscheint auf dem Bildschirm. Lauter erhobene Daumen geben ihm leise eine Rückmeldung. Ein kleines Seufzen vom Professor.
Er denkt gerade bestimmt zurück an die Zeit, als er noch im Hörsaal stand:
Montag 8Uhr c.t., das Geräusch der Sneaker auf den Vinyl Böden der Uni. Gruppen an Studierenden schwirren in die großen Säle. Ein Stimmenmeer an jungen Menschen, mehr oder weniger in Vorfreude über die beginnende Veranstaltung. Stifte auf Papier, den Worten des Professors folgend. Fragende Gesichter. Die von Müdigkeit geplagten Augen, mitgenommen von der letzten Party und dem letzten Drink, der wahrscheinlich einer zu viel war. Und trotzdem schleppten sie sich in die erste Vorlesung an diesem grauen Morgen. Die Party konnte danach schon wieder weiter gehen. Der Professor beneidete die jungen Studierenden um ihre Freiheiten. Wie es wohl wäre nochmal ein Studierender sein zu dürfen?
Und nun blickt der Professor nochmal auf seinen Bildschirm. Er wendet seinen Blick von den schwarzen Kacheln ab und öffnet seine Präsentation.
Ich kann ihm nur eine Viertelstunde zuhören, bevor meine Gedanken wieder abschweifen. Desinteressiert lasse ich die Vorlesung heute Vorlesung sein, begebe mich wieder in die Küche und mache mir etwas zu essen. Der Berg, an dem ich eben nochmals vorbei gegangen bin, ist überraschenderweise nicht kleiner geworden. Nebenbei denke ich noch an meine Wäsche, die gewaschen unten im Keller auf mich wartet. Als ich zurück in mein Zimmer komme, ist die Vorlesung fast zu Ende. Der Professor appelliert nochmals an die Bedeutsamkeit dieses Seminars für unser Studium und verabschiedet sich damit von uns. Er dankt uns für die Aufmerksamkeit und erinnert daran, dass wir uns übermorgen schon wiedersehen. Für so viel Aufmerksamkeit hat es bei mir leider nicht gereicht. Und wiedersehen werden wir wohl nur ihn. Er sieht höchstens unsere Namen, nicht aber unsere Gesichter.
Ich dachte immer, ich würde die Art von Studentin sein die voll und ganz in ihrem Studium aufgeht. An diesem Punkt sehe ich mich noch nicht. Vielleicht kommt das noch, vielleicht auch nicht. Ich weiß gar nicht, wie sich die Anderen fühlen. So viele von ihnen kenne ich noch nicht. Ich kenne nur ihre Namen von diesen kleinen schwarzen Kacheln. Ich klappe meinen Laptop zu. Irgendwie fühle ich mich einsam.
Ich wandere wieder vom Bett in die Küche. Ich weiß gar nicht mehr was ich da wollte. Der Berg an Gedanken und Aufgaben schaut mich vorwurfsvoll an. Ich hole zumindest die Wäsche aus dem Keller hoch und hänge sie auf. Die nächste Vorlesung ist auch nicht mehr weit. Ich könnte mir doch schon mal die Folien der Präsentation anschauen. Ich mache es aber nicht.
Der Laptop wird aufgeklappt. Einwählen, Mikrofon und Kamera sind aus. Und wieder bewege ich mich vom Schreibtisch weg. Es scheint nicht wichtig zu sein. Leider ist es auch zu leicht, es zu ignorieren. Lieber sitze ich mit dem Handy auf meinem Bett und frage mich, ob die Anderen es im Moment auch so anstrengend finden sich zu konzentrieren. Oder ob es ihnen leichter fällt? Geht es nur mir so?
Ich schaue aus dem Fenster auf die Straße der Stadt, in die ich für mein Studium gezogen bin. Die Sonne scheint und eigentlich könnte ich mal wieder nach draußen gehen. Sich auf die Wiese vor die Uni setzen, so wie die älteren Semester es immer machen. Ich schaue durch meine Kontakte und überlege, wen man denn fragen könnte. So viele kenne ich hier noch gar nicht. Und die mit denen ich befreundet bin wohnen noch zu Hause. Meistens trennen uns über eine halbe Stunde Autofahrt. Ich lege mein Handy wieder weg. Morgen ist bestimmt auch noch ein guter Tag zum Rausgehen.
Der Professor verabschiedet sich, immer mehr Kacheln verschwinden vom Bildschirm. Ich verlasse ebenfalls den „Hörsaal“ mit einem Seufzer. Irgendwie fühle ich mich einsam.
Ich bewege mich erneut in die Küche und könnte schon wieder etwas essen. Lustlos schlurfe ich dann auch schon wieder zurück. Der Berg an Aufgaben und Gedanken türmt sich vor mir auf. Er blockiert mir den Weg. Würde ich heute doch bloß etwas davon erledigen. Mein Kopf scheint aber nicht ganz bei mir zu sein. Es wäre alles so erschöpfend. Morgen ist auch noch ein Tag.
Ich dränge mich an dem Berg vorbei zurück in meine 15 Quadratmeter. Momentan fühlen sie sich viel kleiner an, mir fehlt aber die Kreativität um dies zu ändern. Ich lege mich in mein Bett. Es ist immer noch warm, als wäre ich heute nicht aufgestanden. Und die Sonne scheint. Ich schaue unter der Bettdecke hervor aus meinem Fenster und warte darauf, dass sie wieder untergeht.
Die Uhr sagt 17:35Uhr. So lange sollte es dann nicht mehr dauern. Und mein Handy sagt mir, dass ich heute viel zu lange im Internet war. Das Zeitlimit ist schon wieder erreicht. Ich drücke auf „Heute ignorieren“, so wie ich es auch schon mit anderen Sachen getan habe.
Ich sollte nach draußen gehen. Morgen ist aber bestimmt auch noch ein guter Tag dafür.